Es geſellte ſich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geſchritten war, da wir doch denſelben Weg hielten, einen Mantel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen, ich ließ es ſtillſchweigend geſchehen. Er dankte mir mit leichtem Anſtand für den leichten Dienſt, lobte mein Pferd, nahm daraus Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu preiſen, und ließ ſich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbſtgeſpräch ein, bei dem er mich bloß zum Zuhörer hatte.
Er entfaltete ſeine Anſichten von dem Leben und der Welt, und kam ſehr bald auf die Metaphyſik, an die die Forderung erging, das Wort aufzufinden, das aller Räthſel Löſung ſei. Er ſetzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und ſchritt fürder zu deren Beantwortung.
Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philoſophiſchen Spekulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir dieſes Feld völlig abgeſprochen habe; ich habe ſeither Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu wiſſen und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin, wie Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir, ſo viel es in meiner Macht geweſen, auf dem eigenen Weg gefolgt. Nun ſchien mir dieſer Redekünſtler mit großem Talent ein feſt gefügtes Gebäude aufzuführen, das in ſich ſelbſt begründet ſich empor trug, und wie durch eine innere Nothwendigkeit beſtand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was ich eben darin hätte ſuchen wollen, und ſo ward es mir zu einem bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche Geſchloſſenheit und Vollendung dem Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich hörte dem wohlberedten Manne gerne zu, der meine Aufmerkſamkeit von meinen Leiden auf ſich ſelbſt abgelenkt, und ich hätte mich ihm willig ergeben, wenn er meine Seele wie meinen Verſtand in Anſpruch genommen hätte.
Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und unbemerkt hatte ſchon die Morgendämmerung den Himmel erhellt; ich erſchrack, als ich mit einmal aufblickte, und im Oſten die Pracht der Farben ſich entfalten ſah, die die nahe Sonne verkünden, und gegen ſie war in dieſer Stunde, wo die Schlagſchatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prunken, kein Schutz, kein Bollwerk in der offenen Gegend zu erſeh'n! und ich war nicht allein; ich warf einen Blick auf meinen Begleiter und erſchrack wieder. — Es war kein anderer als der Mann im grauen Rock.
Er lächelte über meine Beſtürzung, und fuhr fort, ohne mich zum Wort kommen zu laſſen: „Laßt uns doch, wie es einmal in der Welt Sitte iſt, unſern wechſelſeitigen Vortheil uns auf eine Weile verbinden, zu ſcheiden haben wir immer noch Zeit. Die Straſſe hier längs dem Gebirge, ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, iſt doch die einzige, die Sie vernünftiger Weiſe einſchlagen können; hinab in das Thal dürfen Sie nicht, und über das Gebirg werden Sie noch weniger zurückkehren wollen, von wo Sie hergekommen ſind — dieſe iſt auch gerade meine Straſſe. — Ich ſehe Sie ſchon vor der aufgehenden Sonne erblaſſen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf die Zeit unſerer Geſellſchaft leihen, und Sie dulden mich dafür in Ihrer Nähe; Sie haben ſo Ihren Bendel nicht mehr bei ſich; ich will Ihnen gute Dienſte leiſten. Sie lieben mich nicht, das iſt mir leid. Sie können mich darum doch benutzen. Der Teufel iſt nicht ſo ſchwarz, als man ihn malt. Geſtern haben Sie mich geärgert, das iſt wahr, heute will ich’s Ihnen nicht nachtragen, und ich habe Ihnen ſchon den Weg bis hieher verkürzt, das müſſen ſie ſelbſt geſtehen — nehmen Sie doch nur einmal Ihren Schatten auf Probe wieder an.“
Die Sonne war aufgegangen, auf der Straſſe kamen uns Menſchen entgegen, ich nahm, obgleich mit innerlichem Widerwillen, den Antrag an. Er ließ lächelnd meinen Schatten zur Erde gleiten, der alsbald ſeine Stelle auf des Pferdes Schatten einnahm, und luſtig neben mir hertrabte. Mir war ſehr ſeltſam zu Muth. Ich ritt an einem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit entblößtem Haupte Platz machten. Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfenden Herzens ſeitwärts vom Pferde herab auf dieſen ſonſt meinen Schatten, den ich jetzt von einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt hatte.
Dieſer ging unbekümmert neben her, und pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu Pferd', ein Schwindel ergriff mich, die Verſuchung war zu groß, ich wandte plötzlich die Zügel, drückte beide Sporen an, und ſo in voller Karriere einen Seitenweg eingeſchlagen, aber ich entführte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pferde glitt und ſeinen geſetzmäßigen Eigenthümer auf der Landſtraſſe erwartete. Ich mußte beſchämt umlenken, der Mann im grauen Rocke, als er ungeſtört ſein Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, ſetzte mir den Schatten wieder zurecht, und belehrte mich, er würde erſt an mir feſthangen und bei mir bleiben wollen, wann ich ihn wiederum als rechtmäßiges Eigenthum beſitzen würde. „Ich halte Sie,“ fuhr er fort, „am Schatten feſt, und Sie kommen mir nicht loß. Ein reicher Mann, wie Sie, braucht einmal einen Schatten, das iſt nicht anders, Sie ſind nur darin zu tadeln, daß Sie es nicht früher eingeſehen haben.“ —
Ich ſetzte meine Reiſe auf derſelben Straſſe fort; es fanden ſich bei mir alle Bequemlichkeiten des Lebens, und ſelbſt ihre Pracht wieder ein; ich konnte mich frei und leicht bewegen, da ich einen, obgleich nur erborgten, Schatten beſaß, und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die der Reichthum gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein wunderſamer Begleiter, der ſich ſelbſt für den unwürdigen Diener des reichſten Mannes in der Welt ausgab, war von einer außerordentlichen Dienſtfertigkeit, über die Maßen gewandt und geſchickt, der wahre Inbegrif eines Kammerdieners für einen reichen Mann, aber er wich nicht von meiner Seite, und führte unaufhörlich das Wort gegen mich, ſtets die größte Zuverſicht an den Tag legend, daß ich endlich, ſei es auch nur, um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten abſchließen würde. — Er war mir eben ſo läſtig als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm fürchten. Ich hatte mich von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich, nachdem er mich in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zurück geführt hatte. Ich mußte ſeine Beredſamkeit über mich ergehen laſſen, und fühlte ſchier, er habe Recht. Ein Reicher muß in der Welt einen Schatten haben, und, ſobald ich den Stand behaupten wollte, den er mich wieder geltend zu machen verleitet hatte, war nur ein Ausgang zu erſehen. Dieſes aber ſtand bei mir feſt, nachdem ich meine Liebe hingeopfert, nachdem mir das Leben verblaßt war, wollt’ ich meine Seele nicht, ſei es um alle Schatten der Welt, dieſer Kreatur verſchreiben. Ich wußte nicht, wie es enden ſollte.
Wir ſaßen einſt vor einer Höle, welche die Fremden, die das Gebirg’ bereiſen, zu beſuchen pflegen. Man hört dort das Gebrauſe unterirdiſcher Ströme aus ungemeſſener Tiefe heraufſchallen, und kein Grund ſcheint den Stein, den man hineinwirft, in ſeinem hallenden Fall aufzuhalten. Er malte mir, wie er öfters that, mit verſchwenderiſcher Einbildungskraft und im ſchimmernden Reize der glänzendſten Farben, ſorgfältig ausgeführte Bilder von dem, was ich in der Welt, Kraft meines Säckels, ausführen würde, wenn ich erſt meinen Schatten wieder in meiner Gewalt hätte. Die Ellenbogen auf die Knie geſtützt, hielt ich mein Geſicht in meinen Händen verborgen, und hörte dem Falſchen zu, das Herz zwiefach getheilt zwiſchen der Verführung und dem ſtrengen Willen in mir. Ich konnte bei ſolchem innerlichen Zwieſpalt länger nicht ausdauern, und begann den entſcheidenden Kampf:
„Sie ſcheinen, mein Herr, zu vergeſſen, daß ich Ihnen zwar erlaubt habe, unter gewiſſen Bedingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß ich mir aber meine völlige Freiheit vorbehalten habe.“ — „Wenn Sie befehlen, ſo pack' ich ein.“ Die Drohung war ihm geläufig. Ich ſchwieg; er ſetzte ſich gleich daran, meinen Schatten wieder zuſammen zu rollen. Ich erblaßte, aber ich ließ es ſtumm geſchehen. Es erfolgte ein langes Stillſchweigen. Er nahm zuerſt das Wort:
„Sie können mich nicht leiden, mein Herr, Sie haſſen mich, ich weiß es; doch warum haſſen Sie mich? Iſt es etwa, weil Sie mich auf öffentlicher Straſſe angefallen, und mir mein Vogelneſt mit Gewalt zu rauben gemeint, oder iſt es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaubten, mir diebiſcher Weiſe zu entwenden geſucht haben? Ich meinerſeits haſſe Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vortheile, Liſt und Gewalt geltend zu machen ſuchen; daß Sie übrigens die allerſtrengſten Grundſätze haben, und, wie die Ehrlichkeit ſelbſt denken, iſt eine Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. — Ich denke in der That nicht ſo ſtreng als Sie; ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab' ich Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel gedrückt, um Ihre wertheſte Seele, zu der ich einmal Luſt habe, an mich zu bringen! Hab' ich von wegen meines ausgetauſchten Säckels einen Diener auf Sie los gelaſſen, hab' ich Ihnen damit durchzugehen verſucht?“ Ich hatte dagegen nichts zu erwiedern; er fuhr fort: „Schon recht, mein Herr, ſchon recht! Sie können mich nicht leiden; auch das begreife ich wohl, und verarge es Ihnen weiter nicht. Wir müſſen ſcheiden, das iſt klar, und auch Sie fangen an, mir ſehr langweilig vorzukommen. Um ſich alſo meiner ferneren beſchämenden Gegenwart völlig zu entziehen, rathe ich es Ihnen noch einmal: Kaufen Sie mir das Ding ab.“ — Ich hielt ihm den Säckel hin. „Um den Preis?“ — „Nein!“ — Ich ſeufzte ſchwer auf und nahm wieder das Wort: „Auch alſo. Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns ſcheiden, vertreten Sie mir länger nicht den Weg auf einer Welt, die hoffentlich geräumig genug iſt für uns beide.“ Er lächelte und erwiederte: „Ich gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unterrichten, wie Sie mir klingeln können, wenn Sie je Verlangen nach Ihrem unterthänigſten Knecht tragen ſollten: Sie brauchen nur Ihren Säckel zu ſchütteln, daß die ewigen Goldſtücke darinnen raſſeln, der Ton zieht mich augenblicklich an. Ein Jeder denkt auf ſeinen Vortheil in dieſer Welt; Sie ſehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht bin, denn ich eröffne Ihnen offenbar eine neue Kraft — O dieſer Säckel! — Und hätten gleich die Motten Ihren Schatten ſchon aufgefreſſen, der würde noch ein ſtarkes Band zwiſchen uns ſeyn. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen Sie auch in der Ferne über Ihren Knecht, Sie wiſſen, daß ich mich meinen Freunden dienſtfertig genug erweiſen kann, und daß die Reichen beſonders gut mit mir ſtehen; Sie haben es ſelbſt geſehen, — nur Ihren Schatten, mein Herr — das laſſen Sie Sich geſagt ſeyn — nie wieder, als unter einer einzigen Bedingung.“
Geſtalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich frug ihn ſchnell: „Hatten Sie eine Unterſchrift vom Herrn John?“ — Er lächelte. — „Mit einem ſo guten Freund, hab' ich es keinesweges nöthig gehabt.“ — „Wo iſt er? bei Gott, ich will es wiſſen!“ Er ſteckte zögernd die Hand in die Taſche, und daraus bei den Haaren hervorgezogen erſchien Thomas John's bleiche entſtellte Geſtalt, und die blauen Leichenlippen bewegten ſich zu ſchweren Worten: „Justo judicio Dei judicatus sum; Justo judicio Dei condemnatus sum.“ Ich entſetzte mich, und ſchnell den klingenden Säckel in den Abgrund werfend, ſprach ich zu ihm die letzten Worte: „So beſchwör' ich Dich im Namen Gottes, Entſetzlicher! hebe Dich von dannen und laſſe Dich nie wieder vor meinen Augen blicken!“ Er erhub ſich finſter und verſchwand ſogleich hinter den Felſenmaſſen, die den wild bewachſenen Ort begränzten.