Adelbert von Chamiſſo: Peter Schlemihl's wunderſame Geſchichte 5. Kapitel Es war noch früh, als mich Stimmen weckten, die ſich in meinem Vorzimmer, in heftigem Wortwechſel erhoben. Ich horchte auf. — Bendel verbot meine Thür; Rascal ſchwur hoch und theuer, keine Befehle von ſeines Gleichen anzunehmen, und beſtand darauf, in meine Zimmer einzudringen. Der gütige Bendel verwies ihm, daß ſolche Worte, falls ſie zu meinen Ohren kämen, ihn um einen vortheilhaften Dienſt bringen würden. Rascal drohte Hand an ihn zu legen, wenn er ihm den Eingang noch länger vertreten wollte. — Ich hatte mich halb angezogen, ich riß zornig die Thür auf, und fuhr auf Rascal’n zu — „Was willſt Du Schurke – – – –,“ er trat zwei Schritte zurück, und antwortete ganz kalt: „Sie unterthänigſt bitten, Herr Graf, mir doch einmal Ihren Schatten ſehen zu laſſen, — die Sonne ſcheint eben ſo ſchön auf dem Hofe. —“ Ich war wie vom Donner gerührt. Es dauerte lange, bis ich die Sprache wieder fand. — „Wie kann ein Knecht gegen ſeinen Herrn – – ?“ Er fiel mir ganz ruhig in die Rede: „Ein Knecht kann ein ſehr ehrlicher Mann ſeyn und einem Schattenloſen nicht dienen wollen, ich fordre meine Entlaſſung.“ Ich mußte andre Saiten aufziehen. „Aber Rascal, lieber Rascal, wer hat Dich auf die unglückliche Idee gebracht, wie kannſt Du denken – – – –?“ er fuhr im ſelben Tone fort: „Es wollen Leute behaupten, Sie hätten keinen Schatten — und kurz, Sie zeigen mir Ihren Schatten, oder geben mir meine Entlaſſung.“ Bendel, bleich und zitternd, aber beſonnener als ich, machte mir ein Zeichen, ich nahm zu dem Alles beſchwichtigenden Golde meine Zuflucht, — auch das hatte ſeine Macht verloren — er warf's mir vor die Füße; „von einem Schattenloſen nehme ich nichts an.“ Er kehrte mir den Rücken und ging, den Hut auf dem Kopf, ein Liedchen pfeifend, langſam aus dem Zimmer. Ich ſtand mit Bendel da wie verſteint, gedanken- und regungslos ihm nachſehend. Schwer — aufſeufzend, und den Tod im Herzen, ſchickt' ich mich endlich an, mein Wort zu löſen, und, wie ein Verbrecher vor ſeinen Richtern, in dem Förſtergarten zu erſcheinen. Ich ſtieg in der dunklen Laube ab, welche nach mir benannt war, und wo ſie mich auch diesmal erwarten mußten. Die Mutter kam mir ſorgenfrei und freudig entgegen. Mina ſaß da, bleich und ſchön, wie der erſte Schnee, der manchmal im Herbſte die letzten Blumen küßt, und gleich in bitt’res Waſſer zerfließen wird. Der Forſtmeiſter, ein geſchriebenes Blatt in der Hand, ging heftig auf und ab, und ſchien Vieles in ſich zu unterdrücken, was mit fliegender Röthe und Bläſſe wechſelnd, ſich auf ſeinem ſonſt unbeweglichen Geſichte malte. Er kam auf mich zu, als ich hereintrat, und verlangte mit oft unterbrochenen Worten, mich allein zu ſprechen. Der Gang, auf den er mich, ihm zu folgen, einlud, führte nach einem freien, beſonnten Theile des Gartens — ich ließ mich ſtumm auf einen Sitz nieder, und es erfolgte ein langes Schweigen, das ſelbſt die gute Mutter nicht zu unterbrechen wagte. Der Forſtmeiſter ſtürmte immer noch ungleichen Schrittes die Laube auf und ab, er ſtand mit einem Mal vor mir ſtill, blickte ins Papier, das er hielt, und fragte mich mit prüfendem Blick: „Sollte Ihnen, Herr Graf, ein gewiſſer Peter Schlemihl wirklich nicht unbekannt ſeyn?“ Ich ſchwieg — „ein Mann von vorzüglichem Charakter und von beſonderen Gaben.“ Er erwartete eine Antwort. — „Und wenn ich ſelber der Mann wäre?“ „dem,“ fügte er heftig hinzu, „ſein Schatten abhanden gekommen iſt!!“ „O meine Ahnung, meine Ahnung,“ rief Mina aus, „ja, ich weiß es längſt, er hat keinen Schatten!“ und ſie warf ſich in die Arme der Mutter, welche erſchreckt, ſie krampfhaft an ſich ſchlieſſend, ihr Vorwürfe machte, daß ſie zum Unheil ſolch ein Geheimniß in ſich verſchloſſen. Sie aber war, wie Arethuſa, in einen Thränenquell gewandelt, der beim Klang meiner Stimme häufiger floß, und bei meinem Nahen ſtürmiſch aufbrauſte. „Und Sie haben,“ hub der Forſtmeiſter grimmig wieder an, „und Sie haben mit unerhörter Frechheit dieſe und mich zu betrügen keinen Anſtand genommen; und Sie gaben vor, ſie zu lieben, die Sie ſo weit herunter gebracht haben, ſehen Sie, wie ſie da weint und ringt. O ſchrecklich! ſchrecklich! —“ Ich hatte dergeſtalt alle Beſinnung verloren, daß ich, wie irre redend, anfing: Es wäre doch am Ende ein Schatten, nichts als ein Schatten, man könne auch ohne das fertig werden, und es wäre nicht der Mühe werth, ſolchen Lärm davon zu erheben. Aber ich fühlte ſo ſehr den Ungrund von dem, was ich ſprach, daß ich von ſelbſt aufhörte, ohne daß er mich einer Antwort gewürdigt. Ich fügte noch hinzu: was man einmal verloren, könne man ein andermal wieder finden. Er fuhr mich zornig an. — „Geſtehen Sie mir's, mein Herr, geſtehen Sie mir's, wie ſind Sie um ihren Schatten gekommen?“ Ich mußte wieder lügen: „Es trat mir dereinſt ein ungeſchlachter Mann ſo flämiſch in meinen Schatten, daß er ein großes Loch darein riß — ich habe ihn nur zum Ausbeſſern gegeben, denn Gold vermag viel, ich habe ihn ſchon geſtern wieder bekommen ſollen. –“ „Wohl, mein Herr, ganz wohl!“ erwiederte der Forſtmeiſter, „Sie werben um meine Tochter, das thun auch Andere, ich habe als ein Vater für ſie zu ſorgen, ich gebe Ihnen drei Tage Friſt, binnen welcher Sie ſich nach einem Schatten umthun mögen; erſcheinen Sie binnen drei Tage vor mir mit einem wohlangepaßten Schatten, ſo ſollen Sie mir willkommen ſeyn; am vierten Tage aber — das ſag' ich Ihnen, — iſt meine Tochter die Frau eines Andern. —“ Ich wollte noch verſuchen, ein Wort an Mina zu richten, aber ſie ſchloß ſich, heftiger ſchluchzend, feſter an ihre Mutter, und dieſe winkte mir ſtillſchweigend, mich zu entfernen. Ich ſchwankte hinweg, und mir war's, als ſchlöße ſich hinter mir die Welt zu. Der liebevollen Aufſicht Bendel's entſprungen, durchſchweifte ich in irrem Lauf Wälder und Fluren. Angſtſchweiß trof von meiner Stirne, ein dumpftes Stöhnen entrang ſich meiner Bruſt, in mir tobte Wahnſinn. — Ich weiß nicht, wie lange es ſo gedauert haben mochte, als ich mich auf einer ſonnigen Heide beim Ärmel anhalten fühlte. — Ich ſtand ſtill und ſah mich um — — es war der Mann im grauen Rock, der ſich nach mir außer Athem gelaufen zu haben ſchien. Er nahm ſogleich das Wort: „Ich hatte mich auf dem heutigen Tage angemeldet, Sie haben die Zeit nicht erwarten können. Es ſteht aber Alles noch gut, Sie nehmen Rath an, tauſchen Ihren Schatten wieder ein, der Ihnen zu Gebote ſteht, und kehren ſogleich wieder um. Sie ſollen in dem Förſtergarten willkommen ſeyn, und Alles iſt nur ein Scherz geweſen; den Rascal, der Sie verrathen hat, und um Ihre Braut wirbt, nehm' ich auf mich, der Kerl iſt reif.“ Ich ſtand noch wie im Schlafe da. — „Auf den heutigen Tag angemeldet —?“ ich überdachte noch einmal die Zeit — er hatte Recht, ich hatte mich ſtets um einen Tag verrechnet. Ich ſuchte mit der rechten Hand nach dem Seckel auf meiner Bruſt, — er errieth meine Meinung, und trat zwei Schritte zurück. „Nein, Herr Graf, der iſt in zu guten Händen, den behalten Sie. —“ Ich ſah ihn mit ſtieren Augen, verwundert fragend an, er fuhr fort: „Ich erbitte mir blos eine Kleinigkeit zum Andenken: Sie ſind nur ſo gut, und unterſchreiben mir den Zettel da.“ — auf dem Pergament ſtanden die Worte: „Kraft dieſer meiner Unterſchrift vermache ich dem Inhaber dieſes meine Seele nach ihrer natürlichen Trennung von meinem Leibe.“ Ich ſah mit ſtummen Staunen die Schrift und den grauen Unbekannten abwechſelnd an. — Er hatte unterdeſſen mit einer neu geſchnittenen Feder einen Tropfen Bluts aufgefangen, der mir aus einem friſchen Dornenriß auf die Hand floß, und hielt ſie mir hin. — „Wer ſind Sie denn?“ frug ich ihn endlich: „was thut's,“ gab er mir zur Antwort, „und ſieht man es mir nicht an? ein armer Teufel, gleichſam ſo eine Art von Gelehrten und Phyſikus, der von ſeinen Freunden für vortreffliche Künſte ſchlechten Dank erntet, und für ſich ſelber auf Erden keinen andern Spaß hat, als ſein Bißchen Experimentiren — aber unterſchreiben Sie doch. Rechts, da unten. Peter Schlemihl.“ — Ich ſchüttelte mit dem Kopf, und ſagte: „Verzeihen Sie, mein Herr, das unterſchreibe ich nicht.“ — „Nicht!“ wiederholte er verwundert, „und warum nicht?“ — „Es ſcheint mir doch gewiſſermaſſen bedenklich, meine Seele an meinen Schatten zu ſezzen. — —“ „So, ſo!“ wiederholte er, „bedenklich,“ und er brach in ein lautes Gelächter gegen mich aus. „Und, wenn ich fragen darf, was iſt denn das für ein Ding, Ihre Seele? haben Sie es je geſehen, und was denken Sie damit anzufangen, wenn Sie einſt todt ſind. Seien Sie doch froh, einen Liebhaber zu finden, der Ihnen bei Lebenszeit noch, den Nachlaß dieſes [X.], dieſer galvaniſchen Kraft oder polariſirenden Wirkſamkeit, und was alles das närriſche Ding ſeyn ſoll, mit etwas Wirklichem bezahlen will, nemlich mit Ihrem leibhaftigen Schatten, durch den Sie zu der Hand Ihrer Geliebten und zu der Erfüllung aller Ihrer Wünſche gelangen können. Wollen Sie lieber ſelbſt das arme junge Blut dem niederträchtigen Schurken, dem Rascal zuſtoßen und ausliefern? — Nein, das müſſen Sie doch mit eigenen Augen anſehen; kommen Sie, ich leihe Ihnen die Tarnkappe hier,“ (er zog etwas aus der Taſche) „und wir wallfahrten ungeſehen nach dem Förſtergarten. —“ Ich muß geſtehen, daß ich mich überaus ſchämte, von dieſem Manne ausgelacht zu werden. Er war mir von Herzensgrunde verhaßt, und ich glaube, daß mich dieſer perſönliche Widerwille mehr als Grundſätze oder Vorurtheile abhielt, meinen Schatten, ſo nothwendig er mir auch war, mit der begehrten Unterſchrift zu erkaufen. Auch war mir der Gedanke unerträglich, den Gang, den er mir antrug, in ſeiner Geſellſchaft zu unternehmen. Dieſen häßlichen Schleicher, dieſen hohnlächelnden Kobold, zwiſchen mich und meine Geliebte, zwei blutig zerriſſene Herzen, ſpöttiſch hintreten zu ſehen, empörte mein innigſtes Gefühl. Ich nahm, was geſchehen war, als verhängt an, mein Elend als unabwendbar, und mich zu dem Manne kehrend, ſagte ich ihm: „Mein Herr, ich habe Ihnen meinen Schatten für dieſen, an ſich ſehr vorzüglichen Seckel verkauft, und es hat mich genug gereut. Kann der Handel zurückgehen, in Gottes Namen!“ Er ſchüttelte mit dem Kopf und zog ein ſehr finſteres Geſicht. Ich fuhr fort: — „So will ich Ihnen auch weiter nichts von meiner Habe verkaufen, ſei es auch um den angebotenen Preis meines Schattens, und unterſchreibe alſo nichts. Daraus läßt ſich auch abnehmen, daß die Verkappung, zu der Sie mich einladen, ungleich beluſtigender für Sie als für mich ausfallen müßte; halten Sie mich alſo für entſchuldigt, und da es einmal nicht anders iſt, — laßt uns ſcheiden!“ — „Es iſt mir leid, Monſieur Schlemihl, daß Sie eigenſinnig das Geſchäft von der Hand weiſen, das ich Ihnen freundſchaftlich anbot. Indeſſen, vielleicht bin ich ein andermal glücklicher. Auf baldiges Wiederſehen! — A propos, erlauben Sie mir noch, Ihnen zu zeigen, daß ich die Sachen, die ich kaufe, keinesweges verſchimmeln laſſe, ſondern in Ehren halte, und daß ſie bei mir gut aufgehoben ſind.“ — Er zog ſogleich meinen Schatten aus ſeiner Taſche, und ihn mit einem geſchickten Wurf auf der Haide entfaltend, breitete er ihn auf der Sonnenſeite zu ſeinen Füßen aus, ſo daß er zwiſchen den beiden ihm aufwartenden Schatten, dem meinen und dem ſeinen, daher ging, denn meiner mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach allen ſeinen Bewegungen ſich richten und bequemen. Als ich nach ſo langer Zeit einmal meinen armen Schatten wieder ſah’, und ihn zu ſolchem ſchnöden Dienſt herabgewürdigt fand, eben als ich um ſeinetwillen in ſo namenloſer Noth war, da brach mir das Herz, und ich fing bitterlich zu weinen an. Der Verhaßte ſtolzirte mit dem mir abgejagten Raub, und erneuerte unverſchämt ſeinen Antrag: „Noch iſt er für Sie zu haben, ein Federzug, und ſie retten damit die arme unglückliche Mina aus des Schuftes Klauen in des hochgeehrten Herrn Grafen Arme — wie geſagt, nur ein Federzug.“ Meine Thränen brachen mit erneuter Kraft hervor, aber ich wandte mich weg, und winkte ihm, ſich zu entfernen. Bendel, der voller Sorgen meine Spuren bis hieher verfolgt hatte, traf in dieſem Augenblick ein. Als mich die treue fromme Seele weinend fand, und meinen Schatten, denn er war nicht zu verkennen, in der Gewalt des wunderlichen grauen Unbekannten ſah, beſchloß er gleich, ſei es auch mit Gewalt, mich in den Beſitz meines Eigenthums wieder herzuſtellen, und da er ſelbſt mit dem zarten Dinge nicht umzugehen verſtand, griff er gleich den Mann mit Worten an, und ohne vieles Fragen, gebot er ihm ſtracks, mir das Meine unverzüglich verabfolgen zu laſſen. Dieſer, ſtatt aller Antwort, kehrte dem unſchuldigen Burſchen den Rücken und ging. Bendel aber erhob den Kreuzdornknüttel, den er trug, und, ihm auf den Ferſen folgend, ließ er ihn ſchonungslos unter wiederholtem Befehl, den Schatten herzugeben, die volle Kraft ſeines nervigten Armes fühlen. Jener, als ſei er ſolcher Behandlung gewohnt, bückte den Kopf, wölbte die Schultern, und zog ſtillſchweigend ruhigen Schrittes ſeinen Weg über die Haide weiter, mir meinen Schatten zugleich und meinen treuen Diener entführend. Ich hörte lange noch den dumpfen Schall durch die Einöde drönen, bis er ſich endlich in der Entfernung verlor. Einſam war ich wie vorher mit meinem Unglück. 6. Kapitel