Was hälfen Flügel dem in eiſernen Ketten feſt Angeſchmiedeten? er müßte dennoch, und ſchrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie Faffner bei ſeinem Hort, fern von jedem menſchlichen Zuſpruch, bei meinem Golde darbend, aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, ſondern ich fluchte ihm, um deſſentwillen ich mich von allem Leben abgeſchnitten ſah. Bei mir allein mein düſt'res Geheimniß hegend, fürchtete ich mich vor dem letzten meiner Knechte, den ich zugleich beneiden mußte; denn er hatte einen Schatten, er durfte ſich ſehen laſſen in der Sonne. Ich vertrauerte einſam in meinen Zimmern die Tag' und Nächte, und Gram zehrte an meinem Herzen.
Noch Einer härmte ſich unter meinen Augen ab, mein treuer Bendel hörte nicht auf, ſich mit ſtillen Vorwürfen zu martern, daß er das Zutrauen ſeines gütigen Herrn betrogen, und Jenen nicht erkannt, nach dem er ausgeſchickt war, und mit dem er mein trauriges Schickſal in enger Verflechtung denken mußte. Ich aber konnte ihm keine Schuld geben, ich erkannte in dem Ereigniß die fabelhafte Natur des Unbekannten.
Nichts unverſucht zu laſſen, ſchickt' ich einſt Bendel mit einem koſtbaren brillantenen Ring zu dem berühmteſten Maler der Stadt, den ich, mich zu beſuchen, einladen ließ. Er kam, ich entfernte meine Leute, verſchloß die Thür, ſetzte mich zu dem Mann, und, nachdem ich ſeine Kunſt geprieſen, kam ich mit ſchwerem Herzen zur Sache, ich ließ ihm zuvor das ſtrengſte Geheimniß geloben.
„Herr Profeſſor,“ fuhr ich fort, „könnten Sie wohl einem Menſchen, der auf die unglücklichſte Weiſe von der Welt um ſeinen Schatten gekommen iſt, einen falſchen Schatten malen?“ — „Sie meinen einen Schlagſchatten?“ — „den mein’ ich allerdings.“ — „Aber,“ frug er mich weiter, „durch welche Ungeſchicklichkeit, durch welche Nachläßigkeit konnte er denn ſeinen Schlagſchatten verlieren?“ — „Wie es kam,“ erwiederte ich, „mag nun ſehr gleichgültig ſeyn, doch ſo viel,“ log ich ihm unverſchämt vor: „In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reiſe that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, ſein Schatten dergeſtalt am Boden feſt, daß er ihn nicht wieder loß bekommen konnte.“
„Der falſche Schlagſchatten, den ich ihm malen könnte,“ erwiederte der Profeſſor, „würde doch nur ein ſolcher ſeyn, den er bei der leiſeſten Bewegung wieder verlieren müßte, — zumal wer an dem eignen angebornen Schatten ſo wenig feſt hing, als aus Ihrer Erzählung ſelbſt ſich abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das iſt das Vernünftigſte und Sicherſte.“ Er ſtand auf und entfernte ſich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich ſank in meinen Seſſel zurück, und verhüllte mein Geſicht in meine Hände.
So fand mich noch Bendel, als er herein trat. Er ſah den Schmerz ſeines Herrn, und wollte ſich ſtill, ehrerbietig zurückziehen. — Ich blickte auf — ich erlag unter der Laſt meines Kummers, ich mußte ihn mittheilen. „Bendel,“ rief ich ihm zu, „Bendel! Du Einziger, der Du meine Leiden ſiehſt und ehrſt, ſie nicht erforſchen zu wollen, ſondern ſtill und fromm mit zu fühlen ſcheinſt, komm zu mir, Bendel, und ſei der Nächſte meines Herzens. Die Schätze meines Goldes hab' ich vor Dir nicht verſchloſſen, nicht verſchließen will ich vor dir die Schätze meines Grames — Bendel, verlaſſe mich nicht. Bendel, Du ſiehſt mich reich, freigebig, gütig, Du wähnſt, es ſollte die Welt mich verherrlichen, und Du ſieh'ſt mich die Welt flieh'n, und mich vor ihr verſchließen. Bendel, ſie hat gerichtet, die Welt, und mich verſtoßen, und auch Du vielleicht, wirſt Dich von mir wenden, wenn Du mein ſchreckliches Geheimniß erfährſt. Bendel, ich bin reich, freigebig, gütig, aber — o Gott! — ich habe keinen Schatten!“ —
„Keinen Schatten?“ rief der gute Junge erſchreckt aus, und die hellen Thränen ſtürzten ihm aus den Augen. — „Weh mir, daß ich geboren ward, einem ſchattenloſen Herrn zu dienen!“ Er ſchwieg, und ich hielt mein Geſicht in meinen Händen. —
„Bendel,“ ſetzt' ich ſpät und zitternd hinzu, „nun haſt Du mein Vertrauen, nun kannſt Du es verrathen. Geh' hin und zeuge wider mich.“ — Er ſchien in ſchwerem Kampfe mit ſich ſelber, endlich ſtürzte er vor mir nieder, und ergriff meine Hand, die er mit ſeinen Thränen benetzte. „Nein,“ rief er aus, „was die Welt auch meine, ich kann und werde um Schattenswillen meinen gütigen Herrn nicht verlaſſen, ich werde recht, und nicht klug handeln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, mit Ihnen weinen.“ Ich fiel ihm um den Hals, ob ſolcher ungewohnten Geſinnung ſtaunend; denn ich war von ihm überzeugt, daß er es nicht um Geld that.
Seitdem änderten ſich in Etwas mein Schickſal und meine Lebensweiſe. Es iſt unbeſchreiblich, wie vorſorglich Bendel mein Gebrechen zu verhelen wußte. Überall war er vor mir und mit mir, alles vorherſehend, Anſtalten treffend, und wo Gefahr unverſehens drohte, mich ſchnell mit ſeinem Schatten überdeckend, denn er war größer und ſtärker als ich. So wagt' ich mich wieder unter die Menſchen, und begann eine Rolle in der Welt zu ſpielen. Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Launen ſcheinbar annehmen. Solche ſtehen aber dem Reichen gut, und ſo lange die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich alle der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich ſah ruhiger dem über Jahr und Tag verheißenen Beſuch des räthſelhaften Unbekannten entgegen.
Ich fühlte ſehr wohl, daß ich mich nicht lange an einem Orte aufhalten durfte, wo man mich ſchon ohne Schatten geſehen, und wo ich leicht verrathen werden konnte; auch dacht' ich vielleicht nur allein noch daran, wie ich mich bei Herrn John gezeigt, und es war mir eine drückende Erinnerung, demnach wollt' ich hier bloß Probe halten, um anderswo leichter und zuverſichtlicher auftreten zu können — doch fand ſich, was mich eine Zeitlang an meine Eitelkeit feſthielt: das iſt im Menſchen, wo der Anker am zuverläßigſten Grund faßt.
Eben die ſchöne Fanny, der ich am dritten Ort wieder begegnete, ſchenkte mir, ohne ſich zu erinnern, mich jemals geſehen zu haben, einige Aufmerkſamkeit, denn jetzt hatt' ich Witz und Verſtand. — Wenn ich redete, hörte man zu, und ich wußte ſelber nicht, wie ich zu der Kunſt gekommen war, das Geſpräch ſo leicht zu führen und zu beherrſchen. Der Eindruck, den ich auf die Schöne gemacht zu haben einſah, machte aus mir, was ſie eben begehrte, einen Narren, und ich folgte ihr ſeither mit tauſend Mühen durch Schatten und Dämmerung, wo ich nur konnte. Ich war nur eitel darauf, ſie über mich eitel zu machen, und konnte mir, ſelbſt mit dem beſten Willen nicht, den Rauſch aus dem Kopf ins Herz zwingen.
Aber wozu die ganz gemeine Geſchichte dir lang und breit wiederholen? — Du ſelber haſt ſie mir oft genug von andern Ehrenleuten erzählt. — Zu dem alten wohlbekannten Spiele, worin ich gutmüthig eine abgedroſchene Rolle übernommen, kam freilich eine ganz eigens gedichtete Kataſtrophe hinzu, mir und ihr und Allen unerwartet.
Da ich an einem ſchönen Abend nach meiner Gewohnheit eine Geſellſchaft in einem erleuchteten Garten verſammelt hatte, wandelte ich mit der Herrin Arm in Arm, in einiger Entfernung von den übrigen Gäſten, und bemühte mich, ihr Redesarten vorzudrechſeln. Sie ſah ſittig vor ſich nieder, und erwiederte leiſe den Druck meiner Hand; da trat unverſehens hinter uns der Mond aus den Wolken hervor — und ſie ſah nur ihren Schatten vor ſich hinfallen. Sie fuhr zuſammen, und blickte beſtürzt mich an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und was in ihr vorging, malte ſich ſo ſonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht ſelber eiskalt über den Rücken gelaufen wäre.
Ich ließ ſie aus meinem Arm in eine Ohnmacht ſinken, ſchoß wie ein Pfeil durch die entſetzten Gäſte, erreichte die Thür', warf mich in den erſten Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorſichtigen Bendel gelaſſen hatte. Er erſchrack, als er mich ſah, ein Wort entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle Poſtpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Namens Rascal, der ſich mir durch ſeine Gewandheit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derſelben Nacht noch dreißig Meilen zurück. Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzulöſen, Gold zu ſpenden, und mir das Nöthigſte nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte, warf ich mich in ſeine Arme, und ſchwur ihm, nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, ſondern nur künftig vorſichtiger zu ſeyn. Wir ſetzten unſre Reiſe ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und erſt am andern Abhang durch das hohe Bollwerk von jenem Unglücksboden getrennt, ließ ich mich bewegen, in einem nah' gelegenen, und wenig beſuchten Bad'ort von den überſtandenen Mühſeligkeiten auszuraſten.