Adelbert von Chamiſſo: Peter Schlemihl's wunderſame Geſchichte 11. Kapitel Als ich einſt auf Nordlands Küſten, meine Stiefel gehemmt, Flechten und Algen ſammelte, trat mir unverſehens um die Ecke eines Felſens ein Eisbär entgegen. Ich wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine gegen über liegende Inſel treten, zu der mir ein dazwiſchen aus den Wellen hervorragender nackter Felſen den Übergang bahnte. Ich trat mit dem einen Fuß auf den Felſen feſt auf, und ſtürzte auf der andern Seite in das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften geblieben war. Die große Kälte ergrif mich, ich rettete mit Mühe mein Leben aus dieſer Gefahr; ſobald ich Land hielt, lief ich, ſo ſchnell ich konnte, nach der Lybiſchen Wüſte, um mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber ausgeſetzt war, brannte ſie mir ſo heiß auf den Kopf, daß ich ſehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich ſuchte durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu verſchaffen, und lief mit unſichern raſchen Schritten von Weſten nach Oſten und von Oſten nach Weſten. Ich befand mich bald in dem Tag und bald in der Nacht; bald im Sommer und bald in der Winterkälte. Ich weiß nicht, wie lange ich mich ſo auf der Erde herumtaumelte. Ein brennendes Fieber glühte durch meine Adern, ich fühlte mit großer Angſt die Beſinnung mich verlaſſen. Noch wollte das Unglück, daß ich bei ſo unvorſichtigem Laufen Jemanden auf den Fuß trat. Ich mochte ihm weh gethan haben; ich erhielt einen ſtarken Stoß, und ich fiel hin. — Als ich zuerſt zum Bewußtſeyn zurückkehrte, lag ich gemächlich in einem guten Bette, das unter vielen andern Betten in einem geräumigen und ſchönen Saale ſtand. Es ſaß mir Jemand zu Haupten; es gingen Menſchen durch den Saal von einem Bette zum andern. Sie kamen vor das meine und unterhielten ſich von mir. Sie nannten mich aber Numero Zwölf, und an der Wand zu meinen Füßen ſtand doch ganz gewiß, es war keine Täuſchung, ich konnte es deutlich leſen, auf ſchwarzer Marmortafel mit großen goldenen Buchſtaben mein Name [PETER SCHLEMIHL] ganz richtig geſchrieben. Auf der Tafel ſtanden noch unter meinem Namen zwei Reihen Buchſtaben, ich war aber zu ſchwach, um ſie zuſammen zu bringen, ich machte die Augen wieder zu. — Ich hörte Etwas, worin von Peter Schlemihl die Rede war, laut und vernehmlich ableſen, ich konnte aber den Sinn nicht faſſen; ich ſah einen freundlichen Mann und eine ſehr ſchöne Frau in ſchwarzer Kleidung vor meinem Bette erſcheinen. Die Geſtalten waren mir nicht fremd und ich konnte ſie nicht erkennen. Es verging einige Zeit, und ich kam wieder zu Kräften. Ich hieß Numero Zwölf, und Numero Zwölf galt ſeines langen Bartes wegen für einen Juden, darum er aber nicht minder ſorgfältig gepflegt wurde. Daß er keinen Schatten hatte, ſchien unbemerkt geblieben zu ſeyn. Meine Stiefel befanden ſich, wie man mich verſicherte, nebſt Allem, was man bei mir gefunden, als ich hieher gebracht worden, in gutem und ſicherm Gewahrſam, um mir nach meiner Geneſung wieder zugeſtellt zu werden. Der Ort, worin ich krank lag, hieß das [SCHLEMIHLIUM]; was täglich von Peter Schlemihl abgeleſen wurde, war eine Ermahnung für denſelben, als den Urheber und Wohlthäter dieſer Stiftung zu beten. Der freundliche Mann, den ich an meinem Bette geſehen hatte, war Bendel, die ſchöne Frau war Mina. Ich genas unerkannt im Schlemihlio, und erfuhr noch mehr, ich war in Bendel's Vaterſtadt, wo er aus dem Überreſt meines ſonſt nicht geſegneten Goldes dieſes Hoſpitium, wo Unglückliche mich ſegneten, unter meinem Namen geſtiftet hatte, und er führte über daſſelbe die Aufſicht. Mina war Wittwe, ein unglücklicher Kriminal-Prozeß hatte dem Herrn Rascal das Leben und ihr ſelbſt ihr mehrſtes Vermögen gekoſtet. Ihre Eltern waren nicht mehr. Sie lebte hier als eine gottesfürchtige Wittwe, und übte Werke der Barmherzigkeit. — Sie unterhielt ſich einſt am Bette Numero Zwölf mit dem Herrn Bendel: „Warum, edle Frau, wollen Sie ſich ſo oft der böſen Luft, die hier herrſcht, ausſetzen? Sollte denn das Schickſal mit Ihnen ſo hart ſeyn, daß Sie zu ſterben begehrten?“ — „Nein, Herr Bendel, ſeit ich meinen langen Traum ausgeträumt habe, und in mir ſelber erwacht bin, geht es mir wohl, ſeitdem wünſche ich nicht mehr und fürchte nicht mehr den Tod. Seitdem denke ich heiter an Vergangenheit und Zukunft. Iſt es nicht auch mit ſtillem innerlichem Glück, daß Sie jetzt auf ſo gottſelige Weiſe Ihrem Herrn und Freunde dienen?“ — „Sei Gott gedankt, ja, edle Frau. Es iſt uns doch wunderſam ergangen, wir haben viel Wohl und bitt'res Weh unbedachtſam aus dem vollen Becher geſchlürft. Nun iſt er leer; nun möchte Einer meinen, das ſei Alles nur die Probe geweſen, und, mit kluger Einſicht gerüſtet, den wirklichen Anfang erwarten. Ein anderer iſt nun der wirkliche Anfang, und man wünſcht das erſte Gaukelſpiel nicht zurück, und iſt dennoch im Ganzen froh, es, wie es war, gelebt zu haben. Auch find' ich in mir das Zutrauen, daß es nun unſerm alten Freund beſſer ergehen muß, als damals.“ — „Auch in mir,“ erwiederte die ſchöne Wittwe, und ſie gingen an mir vorüber. Dieſes Geſpräch hatte einen tiefen Eindruck in mir zurück gelaſſen; aber ich zweifelte im Geiſte, ob ich mich zu erkennen geben oder unerkannt von dannen gehen ſollte. — Ich entſchied mich. Ich ließ mir Papier und Bleiſtift geben, und ſchrieb die Worte: „Auch Eurem alten Freunde ergeht es nun beſſer als damals, und büßet er, ſo iſt es Buße der Verſöhnung.“ Hierauf begehrte ich mich anzuziehen, da ich mich ſtärker befände. Man holte den Schlüſſel zu dem kleinen Schrank, der neben meinem Bette ſtand, herbei. Ich fand Alles, was mir gehörte, darin. Ich legte meine Kleider an, hing meine botaniſche Kapſel, worin ich mit Freuden meine nordiſchen Flechten wieder fand, über meine ſchwarze Kurtka um, zog meine Stiefel an, legte den geſchriebenen Zettel auf mein Bett, und, ſo wie die Thür' aufging, war ich ſchon weit auf dem Wege nach der Thebais. Wie ich längſt der ſyriſchen Küſte den Weg, auf den ich mich zum letzten Mal vom Hauſe entfernt hatte, zurücklegte, ſah ich mir meinen armen Figaro entgegen kommen. Dieſer vortreffliche Pudel ſchien ſeinen Herrn, den er lange zu Hauſe erwartet haben mochte, auf die Spur nachgehen zu wollen. Ich ſtand ſtill, und rief ihm zu. Er ſprang bellend an mich mit tauſend rührenden Äußerungen ſeiner unſchuldigen ausgelaſſenen Freude. Ich nahm ihn unter dem Arm, denn freilich konnte er mir nicht folgen, und brachte ihn mit mir wieder nach Hauſe. Ich fand dort Alles in der alten Ordnung, und kehrte nach und nach, ſo wie ich wieder Kräfte bekam, zu meinen vormaligen Beſchäftigungen und zu meiner alten Lebensweiſe zurück. Nur daß ich mich ein ganzes Jahr hindurch der mir ganz unzuträglichen Polar-Kälte enthielt. — Und ſo, mein lieber Chamiſſo, leb' ich noch heute. Meine Stiefel nutzen ſich nicht ab, wie das ſehr gelehrte Werk des berühmten [Tieckius, de rebus gestis Pollicilli], es mich Anfangs befürchten laſſen. Ihre Kraft bleibt ungebrochen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab’ ich den Troſt, ſie an einen Zweck in fortgeſetzter Richtung und nicht fruchtlos verwendet zu haben. Ich habe, ſo weit meine Stiefel gereicht, die Erde, ihre Geſtaltung, ihre Höhen, ihre Temperatur, ihre Atmoſphäre in ihrem Wechſel, die Erſcheinungen ihrer magnetiſchen Kraft, das Leben auf ihr, beſonders im Pflanzenreiche, gründlicher kennen gelernt, als vor mir irgend ein Menſch. Ich habe die Thatſachen mit möglichſter Genauigkeit in klarer Ordnung aufgeſtellt in mehrern Werken, meine Folgerungen und Anſichten flüchtig in einigen Abhandlungen niedergelegt. — Ich habe die Geographie vom Innern von Afrika und von den nördlichen Polarländern, vom Innern von Aſien und von ſeinen öſtlichen Küſten, feſtgeſetzt. Meine [Historia stirpium plantarum utriusque orbis] ſteht da als ein großes Fragment der [Flora universalis terrae], und als ein Glied meines [Systema naturae]. Ich glaube darin nicht bloß die Zahl der bekannten Species mäßig um mehr als ein Drittel vermehrt zu haben, ſondern auch Etwas für das natürliche Syſtem und für die Geographie der Pflanzen gethan zu haben. Ich arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde Sorge tragen, daß vor meinem Tode meine Manuſkripte bei der Berliner Univerſität niedergelegt werden. Und Dich, mein lieber Chamiſſo, hab’ ich zum Bewahrer meiner wunderſamen Geſchichte erkoren, auf daß ſie vielleicht, wenn ich von der Erde verſchwunden bin, Manchem ſeiner Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen könne. Du aber, mein Freund, willſt Du unter den Menſchen leben, ſo lerne verehren zuvörderſt den Schatten, ſodann das Geld. Willſt Du nur Dir und Deinem beſſern Selbſt leben, o ſo brauchſt Du keinen Rath. [Explicit.] 12. Literariſche Anzeige.