: Das Nibelungenlied 23. Dreiundzwanzigſtes Abenteuer. // Wie Kriemhild ihr Leid zu rächen gedachte. In ſo hohen Ehren, · das iſt alles wahr, // Wohnten ſie beiſammen · bis an das ſiebte Jahr. // Eines Sohns war geneſen · derweil die Königin: // Das ſchien König Etzel · der allergröſte Gewinn. // Bis ſie es erlangte, · ließ ſie nicht ab davon, // Die Taufe muſt empfangen · König Etzels Sohn // Nach chriſtlichem Brauche: · Ortlieb ward er genannt. // Darob war große Freude · über Etzels ganzem Land. // Der Zucht, deren jemals · zuvor Frau Helke pflag, // Fliß ſich Frau Kriemhild · darauf gar manchen Tag. // Es lehrte ſie die Sitte · Herrat die fremde Maid; // Die trug noch in der Stille · um Helke ſchmerzliches Leid. // Vor Heimiſchen und Fremden · geſtanden alleſamt // Beßer und milder · hab eines Königs Land // Nie eine Frau beſeßen: · das hielten ſie für wahr. // Des rühmten ſie die Heunen · bis an das dreizehnte Jahr. // Nun wuſte ſie, daß Niemand · ihr feindlich ſei geſinnt, // Wie oft wohl Königinnen · der Fürſten Recken ſind, // Und daß ſie täglich mochte · zwölf Könge vor ſich ſehn. // Sie vergaß auch nicht des Leides, · das ihr daheim war geſchehn. // Sie gedacht auch noch der Ehren · in Nibelungenland, // Die ihr geboten worden · und die ihr Hagens Hand // Mit Siegfriedens Tode · hatte gar benommen, // Und ob ihm das nicht jemals · noch zu Leide ſollte kommen. // „Es geſchäh, wenn ich ihn bringen · möcht in dieſes Land.“ // Ihr träumte wohl, ihr gienge · bei Etzel an der Hand // Geiſelher ihr Bruder; · ſie küſſt' ihn allezeit // In ihrem ſanften Schlafe: · das ward zu ſchmerzlichem Leid. // Der üble Teufel war es wohl, · der Kriemhilden rieth, // Daß ſie in Freundſchaft · von König Gunther ſchied // Und ihn zur Sühne küſſte · in Burgundenland. // Aufs Neu begann zu triefen · von heißen Thränen ihr Gewand. // Es lag ihr an dem Herzen · beides, ſpat und fruh, // Wie man mit Widerſtreben · ſie doch gebracht dazu, // Daß ſie minnen muſte · einen heidniſchen Mann: // Die Noth hatt ihr Hagen · und Herr Gunther angethan. // Wie ſie das rächen möchte, · dachte ſie alle Tage: // „Ich bin nun wohl ſo mächtig, · wem es auch miſsbehage, // Daß ich meinen Feinden · mag ſchaffen Herzeleid: // Dazu wär ich dem Hagen · von Tronje gerne bereit. // „Nach den Getreuen jammert · noch oft die Seele mein; // Doch die mir Leides thaten, · möcht ich bei denen ſein, // So würde noch gerochen · meines Friedels Tod. // Kaum kann ich es erwarten,“ · ſprach ſie in des Herzens Noth. // Es liebten ſie Alle, · die dem König unterthan, // Die Recken Kriemhildens; · das war wohlgethan. // Ihr Kämmerer war Eckewart: · drum ward er gern geſehn: // Kriemhildens Willen · konnte Niemand widerſtehn. // Sie gedacht auch alle Tage: · „Ich will den König bitten,“ // Er möcht ihr vergönnen · mit gütlichen Sitten, // Daß man ihre Freunde · brächt in der Heunen Land. // Den argen Willen Niemand · an der Königin verſtand. // Als eines Nachts Frau Kriemhild · bei dem König lag, // Umfangen mit den Armen · hielt er ſie, wie er pflag // Der edeln Frau zu koſen, · ſie war ihm wie ſein Leib, // Da gedachte ihrer Feinde · dieſes herrliche Weib. // Sie ſprach zu dem König: · „Viel lieber Herre mein, // Ich wollt euch gerne bitten, · möcht es mit Hulden ſein, // Daß ihr mich ſehen ließet, · ob ich verdient den Sold, // Daß ihr meinen Freunden · wäret inniglich hold.“ // Da ſprach der mächtge König, · arglos war ſein Muth: // „Des ſollt ihr inne werden: · was man den Helden thut // Zu Ehren und zu Gute, · mir geſchieht ein Dienſt daran, // Da ich von Weibesminne · nie beßre Freunde gewann.“ // Noch ſprach zu ihm die Königin: · „Ihr wißt ſo gut wie ich, // Ich habe hohe Freunde: · darum betrübt es mich, // Daß mich die ſo ſelten · beſuchen hier im Land: // Ich bin allen Leuten · hier nur als freundlos bekannt.“ // Da ſprach der König Etzel: · „Viel liebe Fraue mein, // Däucht' es ſie nicht zu ferne, · ſo lüd ich überrhein, // Die ihr da gerne ſähet, · hieher zu meinem Land.“ // Sie freute ſich der Rede, · als ihr ſein Wille ward bekannt. // Sie ſprach: „Wollt ihr mir Treue · leiſten, Herre mein, // So ſollt ihr Boten ſenden · gen Worms überrhein. // So entbiet ich meinen Freunden · meinen Sinn und Muth: // So kommen uns zu Lande · viel Ritter edel und gut.“ // Er ſprach: „Wenn ihr gebietet, · ſo laß ich es geſchehn. // Ihr könntet eure Freunde · nicht ſo gerne ſehn, // Der edeln Ute Kinder, · als ich ſie ſähe gern: // Es iſt mir ein Kummer, · daß ſie ſo fremd uns ſind und fern.“ // Er ſprach: „Wenn dirs gefiele, · viel liebe Fraue mein, // Wollt ich als Boten ſenden · zu den Freunden dein // Meine Fiedelſpieler · gen Burgundenland.“ // Die guten Spielleute · ließ man bringen gleich zur Hand. // Die Knappen kamen beide, · wo ſie den König ſahn // Sitzen bei der Königin. · Da ſagt' er ihnen an, // Sie ſollten Boten werden · nach Burgundenland. // Auch ließ er ihnen ſchaffen · reiches herrliches Gewand. // Vierundzwanzig Recken · ſchnitt man da das Kleid. // Ihnen ward auch von dem König · gegeben der Beſcheid, // Wie ſie Gunthern laden ſollten · und Die ihm unterthan. // Frau Kriemhild mit ihnen · geheim zu ſprechen begann. // Da ſprach der reiche König: · „Nun hört, wie ihr thut: // Ich entbiete meinen Freunden · alles, was lieb und gut, // Daß ſie geruhn zu reiten · hieher in mein Land. // Ich habe noch gar ſelten · ſo liebe Gäſte gekannt. // „Und wenn ſie meinen Willen · geſonnen ſind zu thun, // Kriemhilds Verwandte, · ſo mögen ſie nicht ruhn // Und mir zu Liebe kommen · zu meinem Hofgelag, // Da meiner Schwäger Freundſchaft · mich ſo ſehr erfreuen mag.“ // Da ſprach der Fiedelſpieler, · der ſtolze Schwemmelein: // „Wann ſoll euer Gaſtgeber · in dieſen Landen ſein? // Daß wirs euern Freunden · am Rhein mögen ſagen.“ // Da ſprach der König Etzel: · „In der nächſten Sonnenwende Tagen.“ // „Wir thun, was ihr gebietet,“ · ſprach da Werbelein. // Kriemhild ließ die Boten · zu ihrem Kämmerlein // Führen in der Stille · und beſprach mit ihnen da, // Wodurch noch manchem Degen · bald wenig Liebes geſchah. // Sie ſprach zu den Boten: · „Ihr verdient groß Gut, // Wenn ihr beſonnen · meinen Willen thut // Und ſagt, was ich entbiete · heim in unſer Land: // Ich mach euch reich an Gute · und geb euch herrlich Gewand. // „Wen ihr von meinen Freunden · immer möget ſehn // Zu Worms an dem Rheine, · dem ſollt ihrs nie geſtehn, // Daß ihr mich immer ſähet · betrübt in meinem Muth; // Und entbietet meine Grüße · dieſen Helden kühn und gut. // „Bittet ſie zu leiſten, · was mein Gemahl entbot, // Und mich dadurch zu ſcheiden · von all meiner Noth. // Ich ſcheine hier den Heunen · freundlos zu ſein. // Wenn ich ein Ritter hieße · ich käme manchmal an den Rhein. // „Und ſagt auch Gernoten, · dem edeln Bruder mein, // Daß ihm auf Erden Niemand · holder möge ſein: // Bittet, daß er mir bringe · hierher in dieſes Land // Unſre beſten Freunde: · ſo wird uns Ehre bekannt. // „Sagt auch Geiſelheren, · ich mahn ihn daran, // Daß ich mit ſeinem Willen · nie ein Leid gewann: // Drum ſähn ihn hier im Lande · gern die Augen mein; // Auch will ich all mein Leben · ihm zu Dienſt verpflichtet ſein. // „Sagt auch meiner Mutter, · wie mir Ehre hier geſchieht; // Und wenn von Tronje Hagen · der Reiſe ſich entzieht, // Wer ihnen zeigen ſolle · die Straßen durch das Land? // Die Wege zu den Heunen · ſind von frühauf ihm bekannt.“ // Nun wuſten nicht die Boten, · warum das möge ſein, // Daß ſie dieſen Hagen · von Tronje nicht am Rhein // Bleiben laßen ſollten. · Bald ward es ihnen leid: // Durch ihn war manchem Degen · mit dem grimmen Tode gedräut. // Botenbrief und Siegel · ward ihnen nun gegeben; // Sie fuhren reich an Gute · und mochten herrlich leben. // Urlaub gab ihnen Etzel · und ſein ſchönes Weib; // Ihnen war auch wohlgezieret · mit guten Kleidern der Leib. // 24. Vierundzwanzigſtes Abenteuer. // Wie Werbel und Schwemmel die Botſchaft brachten.