Nach Endigung der ägyptiſchen Reiſegeſchichte wollte der Baron aufbrechen und zu Bette gehen, gerade als die erſchlaffende Aufmerkſamkeit jedes Zuhörers bey Erwähnung des Großherrlichen Harems in neue Spannung gerieth. Sie hätten gar zu gern noch etwas von dem Harem gehört. Da aber der Baron ſich durchaus nicht darauf einlaſſen und gleichwohl der mit Bitten auf ihn losſtürmenden muntern Zuhörerſchaft nicht alles abſchlagen wollte, ſo gab er noch einige Stückchen ſeiner merkwürdigen Dienerſchaft zum Beſten und fuhr in ſeiner Erzählung alſo fort.
Bey dem Groß-Sultan galt ich ſeit meiner ägyptiſchen Reiſe alles in allem. Seine Hoheit konnten gar ohne mich nicht leben und baten mich jeden Mittag und Abend bey ſich zum Eſſen. Ich muß bekennen, meine Herren, daß der türkiſche Kaiſer unter allen Potentaten auf Erden den delicateſten Tiſch führet. Jedoch iſt dieß nur von den Speiſen, nicht aber von dem Getränke zu verſtehen, da, wie Sie wiſſen werden, Mahomets Geſetz ſeinen Anhängern den Wein verbietet. Auf ein gutes Glas Wein muß man alſo an öffentlichen türkiſchen Tafeln Verzicht thun. Was indeſſen gleich nicht öffentlich geſchieht, das geſchieht doch nicht ſelten heimlich; und des Verbots ungeachtet, weiß mancher Türk ſo gut, als der beſte deutſche Prälat, wie ein gutes Glas Wein ſchmeckt. Das war nun auch der Fall mit Seiner türkiſchen Hoheit. Bey der öffentlichen Tafel, an welcher gewöhnlich der türkiſche General-Superintendent, nämlich der Mufti, in partem Salarii mit ſpeiſete und vor Tiſche das: Aller Augen — nach Tiſche aber das Gratias beten mußte, wurde des Weines auch nicht mit einer einzigen Sylbe gedacht. Nach aufgehobener Tafel aber wartete auf Seine Hoheit gemeiniglich ein gutes Fläſchchen im Cabinette. Einſt gab der Großſultan mir einen verſtohlenen freundlichen Wink, ihm in ſein Cabinett zu folgen. Als wir uns nun daſelbſt eingeſchloſſen hatten, hohlte er aus einem Schränkchen eine Flaſche hervor, und ſprach: „Münchhauſen, ich weiß ihr Chriſten verſteht euch auf ein gutes Glas Wein. Da habe ich noch ein einziges Fläſchchen Tockaier. So delicat müßt ihr ihn in euerm Leben nicht getrunken haben.“ Hierauf ſchenkten Seine Hoheit ſowohl mir als ſich eins ein und ſtießen mit mir an. „— Nun was ſagt Ihr? Gelt! es iſt was extra feines?“ — „Das Weinchen iſt gut, Ihro Hoheit, erwiederte ich; allein mit Ihrem Wohlnehmen muß ich doch ſagen, daß ich ihn in Wien beym Hochſeligen Kaiſer Carl dem ſechſten weit beſſer getrunken habe. Potz Stern! den ſollten Ihro Hoheit einmal verſuchen.“ Freund Münchhauſen, euer Wort in Ehren! Allein es iſt unmöglich, daß irgend ein Tockaier beſſer ſey. Denn ich bekam einſt nur dieß eine Fläſchchen von einem Ungariſchen Cavalier und er that ganz verzweifelt rar damit.“ — „Poſſen, Ihro Hoheit! Tockaier und Tockaier iſt ein großmächtiger Unterſchied. Die Herren Ungarn überſchenken ſich eben nicht. Was gilt die Wette, ſo ſchaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde gerades Weges und unmittelbar aus dem Kaiſerlichen Keller eine Flaſche Tockaier, die aus ganz andern Augen ſehen ſoll.“ — „Münchhauſen, ich glaube ihr faſelt.“ — „Ich faſele nicht. Gerades Weges aus dem Kaiſerlichen Keller in Wien ſchaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde eine Flaſche Tockaier von einer ganz andern Nummer, als dieſer Krätzer hier.“ — „Münchhauſen, Münchhauſen! Ihr wollt mich zum Beſten haben und das verbitte ich mir. Ich kenne euch zwar ſonſt als einen überaus wahrhaften Mann, allein — jetzt ſollte ich doch faſt denken, Ihr flunkertet.“ — „Ey nun, Ihro Hoheit! Es kommt ja auf die Probe an. Erfülle ich nicht mein Wort — denn von allen Aufſchneidereyen bin ich der abgeſagteſte Feind — ſo laſſen Ihro Hoheit mir den Kopf abſchlagen. Allein mein Kopf iſt kein Pappenſtiel. Was ſetzen Sie mir dagegen?“ — „Top! Ich halte euch beym Worte. Iſt auf den Schlag Vier nicht die Flaſche Tockaier hier, ſo koſtets euch ohne Barmherzigkeit den Kopf. Denn foppen laſſe ich mich auch von meinen beſten Freunden nicht. Beſteht ihr aber, wie Ihr verſprecht, ſo könnet ihr aus meiner Schatzkammer ſo viel an Gold, Silber, Perlen und Edelgeſteinen nehmen, als der ſtärkſte Kerl davon zu ſchleppen vermag.“ — „Das läßt ſich hören!“ antwortete ich, bat mir gleich Feder und Dinte aus und ſchrieb an die Kaiſerinn-Königinn Maria Thereſia folgendes Billet: „Ihre Majeſtät haben ohnſtreitig als Univerſal-Erbinn auch Ihres Höchſtſeligen Herren Vaters Keller mitgeerbt. Dürfte ich mir wohl durch Vorzeigern dieſes eine Flaſche von dem Tockaier ausbitten, wie ich ihn bey Ihrem Herren Vater oft getrunken habe? Allein von dem Beſten! Denn es gilt eine Wette. Ich diene gern dafür wieder, wo ich kann, und beharre übrigens u. ſ. w.“
Dieß Billet gab ich, weil es ſchon fünf Minuten über drey Uhr war, nur ſogleich offen meinem Läufer, der ſeine Gewichte abſchnallen und ſich unverzüglich auf die Beine nach Wien machen mußte. Hierauf tranken wir, der Großſultan und ich, den Reſt von ſeiner Flaſche in Erwartung des beſſern vollends aus. Es ſchlug ein Viertel, es ſchlug Halb, es ſchlug drey Viertel auf Vier, und noch war kein Läufer zu hören und zu ſehen. Nach gerade, geſtehe ich, fing mir an ein wenig ſchwul zu werden; denn es kam mir vor, als blickten Seine Hoheit ſchon bisweilen nach der Glockenſchnur, um nach dem Scharfrichter zu klingeln. Noch erhielt ich zwar Erlaubniß, einen Gang hinaus in den Garten zu thun, um friſche Luft zu ſchöpfen, allein es folgten mir auch ſchon ein Paar dienſtbare Geiſter nach, die mich nicht aus den Augen ließen. In dieſer Angſt, und als der Zeiger ſchon auf fünf und funfzig Minuten ſtand, ſchickte ich noch geſchwind nach meinem Horcher und Schützen. Sie kamen unverzüglich an, und der Horcher mußte ſich platt auf die Erde niederlegen, um zu hören, ob nicht mein Laufer endlich ankäme. Zu meinem nicht geringen Schrecken meldete er mir, daß der Schlingel irgendwo, allein weit weg von hier, im tiefſten Schlafe läge und aus Leibeskräften ſchnarchte. Dieß hatte mein braver Schütze nicht ſobald gehört, als er auf eine etwas hohe Terraſſe lief und, nachdem er ſich auf ſeinen Zehen noch mehr empor gereckt hatte, haſtig ausrief: „Bey meiner armen Seele! Da liegt der Faulenzer unter einer Eiche bey Belgrad und die Flaſche neben ihm. Wart! Ich will dich aufkitzeln.“ — Und hiermit legte er unverzüglich ſeine Kuchenreuterſche Flinte an den Kopf und ſchoß die volle Ladung oben in den Wipfel des Baumes. Ein Hagel von Eicheln, Zweigen und Blättern fiel herab auf den Schläfer, erweckte und brachte ihn, da er ſelbſt fürchtete, die Zeit beynahe verſchlafen zu haben, dermaßen geſchwind auf die Beine, daß er mit ſeiner Flaſche und einem eigenhändigen Billet von Maria Thereſia, um 59½ Minuten auf vier Uhr vor des Sultans Cabinette anlangte. Das war ein Gaudium! Ey, wie ſchlürfte das Großherrliche Leckermaul! — „Münchhauſen, ſprach er, Ihr müßt es mir nicht übel nehmen, wenn ich dieſe Flaſche für mich allein behalte. Ihr ſteht zu Wien beſſer, als ich; Ihr werdet ſchon an noch mehr zu kommen wiſſen.“ — Hiermit ſchloß er die Flaſche in ſein Schränkchen, ſteckte den Schlüſſel in die Hoſentaſche, und klingelte nach dem Schatzmeiſter. — O welch ein angenehmer Silberton meinen Ohren! — „Ich muß euch nun die Wette bezahlen. — Hier! — ſprach er zum Schatzmeiſter, der ins Zimmer trat, laßt meinem Freunde Münchhauſen ſo viel aus der Schatzkammer verabfolgen, als der ſtärkſte Kerl wegzutragen vermag.“ Der Schatzmeiſter neigte ſich vor ſeinem Herrn bis mit der Naſe zur Erde, mir aber ſchüttelte der Großſultan ganz treuherzig die Hand, und ſo ließ er uns beyde gehn.
Ich ſäumte nun, wie Sie denken können, meine Herren, keinen Augenblick, die erhaltene Aſſignation geltend zu machen, ließ meinen Starken mit ſeinem langen hänfenen Stricke kommen und verfügte mich in die Schatzkammer. Was da mein Starker, nachdem er ſein Bündel geſchnürt hatte, übrig ließ, das werden Sie wohl ſchwehrlich hohlen wollen. Ich eilte mit meiner Beute gerades Weges nach dem Hafen, nahm dort das größte Laſtſchiff, das zu bekommen war, in Beſchlag, und ging wohlbepackt mit meiner ganzen Dienerſchaft unter Segel, um meinen Fang in Sicherheit zu bringen, ehe was widriges dazwiſchen kam. Was ich befürchtet hatte, das geſchah. Der Schatzmeiſter hatte Thür und Thor von der Schatzkammer offen gelaſſen — und freylich wars nicht groß mehr nöthig, ſie zu verſchließen — war über Hals und Kopf zum Großſultan gelaufen und hatte ihm Bericht abgeſtattet, wie vollkommen wohl ich ſeine Aſſignation genutzt hatte. Das war denn nun dem Großſultan nicht wenig vor den Kopf gefahren. Die Reue über ſeine Uebereilung konnte nicht lange ausbleiben. Er hatte daher gleich dem Großadmiral befohlen, mit der ganzen Flotte hinter mir herzueilen, und mir zu inſinuiren, daß wir ſo nicht gewettet hätten. Als ich daher noch nicht zwey Meilen weit in See war, ſo ſah ich ſchon die ganze türkiſche Kriegsflotte mit vollen Segeln hinter mir herkommen, und ich muß geſtehen, daß mein Kopf, der kaum wieder feſt geworden war, nicht wenig von neuem anfing zu wackeln. Allein nun war mein Windmacher bey der Hand und ſprach: „Laſſen ſich Ihro Excellenz nicht bange ſeyn!“ Er trat hierauf auf das Hinterverdeck meines Schiffes, ſo daß ſein eines Naſenloch nach der türkiſchen Flotte, das andere aber auf unſere Segel gerichtet war, und blies eine ſo hinlängliche Portion Wind, daß die Flotte an Maſten, Segel- und Tauwerk gar übel zugerichtet, nicht nur bis in den Hafen zurückgetrieben, ſondern auch mein Schiff in wenig Stunden glücklich nach Italien getrieben ward. Von meinem Schatze kam mir jedoch wenig zu gute. Denn in Italien iſt, trotz der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar Jagemann in Weimar [S. deutſches Muſeum 1786], Armuth und Betteley ſo groß und die Polizey ſo ſchlecht, daß ich erſtlich, weil ich vielleicht eine allzu gutwillige Seele bin, den größten Theil an die Straßenbettler ausſpenden mußte. Der Reſt aber wurde mir auf meiner Reiſe nach Rom, auf der geheiligten Flur von Loretto, durch eine Bande Straßenräuber abgenommen. Das Gewiſſen wird dieſe Herren nicht ſehr darüber beunruhigt haben. Denn ihr Fang war noch immer ſo anſehnlich, daß um den tauſendſten Theil die ganze honette Geſellſchaft ſowohl für ſich, als ihre Erben und Erbnehmen, auf alle vergangene und zukünftige Sünden, vollkommenen Ablaß ſelbſt aus der erſten und beſten Hand in Rom dafür erkaufen konnte. —
Nun aber, meine Herren, iſt in der That mein Schlafſtündchen da. Schlafen Sie wohl!