Gottfried Auguſt Bürger u.a.: Des Freyherrn von Münchhauſen Wunderbare Reiſen 0. Einleitungen Entſtehung und Publikationsgeſchichte Bürgers „Münchhauſen“ erſchien erſtmals (anonym) 1786 als Überſetzung aus dem Engliſchen. 1785 war in London [Baron Munchhausens Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia] erſchienen. Autor war der etwas zwielichtige Rudolf Erich Raſpe. Das Werk Raſpes ging wiederum auf einen deutſchen Text zurück, eine Anfang der 1780er Jahre herausgegebene Sammlung von Anekdoten unter dem Titel Vade Mecum für luſtige Leute. Dieſe Sammlung enthielt 18 Münchhauſen-Geſchichten eines unbekannten Autors. Raſpe hatte die Geſchichten nicht nur überſetzt, ſondern ſie auch durch eine Rahmenhandlungen verbunden und mehrere Seegeſchichten hinzugefügt. 1786 erſchien alſo eine deutſche Überſetzung des Textes von Raſpe, d.h. eine wiederum um einige neue Geſchichten vermehrte freie Bearbeitung durch Bürger. Verlagsort war angeblich London. Tatſächlich erſchien das Buch bei dem Göttinger Verleger Johann Chriſtian Dieterich. Nachdem binnen kurzer Zeit drei Auflagen vergriffen waren, kam 1788 eine um ſieben neue Geſchichten erweiterte Ausgabe heraus. Dieſe Ausgabe „letzter Hand“ (Bürger ſtarb 1794) liegt den modernen Ausgaben zugrunde. Kurz nach Bürgers Tod wurde dieſer durch ſeinen Freund Chriſtoph Althoff als Autor des „Münchhauſen“ identifiziert. * * * Vorrede zur erſten Ausgabe. Der Freyherr von Münchhauſen zu Bodenwerder, ohnweit Hameln an der Weſer, gehört zu dem edlen Geſchlechte gleiches Nahmens, welches den deutſchen Staaten des Königs von Großbritannien den verſtorbenen Premierminiſter und mehrere andere vornehme Beamten geſchenkt hat. Er iſt ein Mann von der originelleſten Laune; und da er vielleicht gefunden hat, wie ſchwer es oft hält, verſchrobenen Köpfen geraden Menſchenverſtand einzuräſoniren, und wie leicht hergegen ein dreiſter Haberecht eine ganze Verſammlung zu übertäuben und aus ihren fünf Sinnen hinauszuſchreyen vermag: ſo läßt er ſich in ſolchen Fällen niemals auf Widerlegungen ein; ſondern wendet zuerſt geſchickt die Unterredung auf gleichgültige Gegenſtände, und dann erzählt er irgend ein Geſchichtchen von ſeinen Reiſen, Feldzügen und ſchnurrigen Abentheuern in einem ihm ganz eigenthümlichen Tone, der aber gerade der rechte iſt, die Kunſt zu lügen, oder höflicher geſagt, das lange Meſſer zu handhaben, aus ihrem ruhigen Schlupfwinkel hervor zu kitzeln und blank zu ſtellen. Da dieſes Mittel ſchon öfter von gutem Erfolge geweſen iſt, ſo ſey es uns hiermit erlaubt, dem Publikum einige von ſeinen Geſchichtchen vorzulegen, und diejenigen, die etwa unter berüchtigte Prahlhänſe gerathen, zu bitten, ſich bey jeder ſchicklichen Gelegenheit ebendesſelben zu bedienen. Gelegenheit aber wird ſeyn, ſo oft Jemand unter der Maske der Wahrheit in ganzem Ernſte falſche Dinge behauptet und auf Koſten ſeiner eigenen Ehre auch diejenigen hintergehet, die zum Unglück ſeine Zuhörer ſind. * * * Zur zweyten Ausgabe. Der ſchnelle Abgang der erſten Ausgabe dieſes Werkchens beweiſet hinlänglich, daß dem Publikum ſein moraliſcher Endzweck in dem rechten Lichte erſchienen iſt. Vielleicht hätte man es noch ſchicklicher: Lügenſtrafer, betitelt, da in der That keine Unart verächtlicher iſt, als die Ohren ſeiner Freunde mit Unwahrheiten zu behelligen. Der Baron ſelbſt iſt ein Mann von außerordentlicher Ehre, der ſein Vergnügen daran findet, diejenigen zur Schau auszuſtellen, welche zu Betrügereyen jeder Art geneigt ſind. Er thut dieſes auf eine ſehr drollige Art, wenn er in großen Geſellſchaften diejenigen Geſchichten erzählt, welche dem Publikum in dieſer kleinen Sammlung überliefert werden. Sie iſt anſehnlich durch ſeine Schiff- und See-Abentheuer vermehrt, und durch vier Vorſtellungen von ſeinem eigenen Pinſel verſchönert. * * * Zur deutſchen Ueberſetzung. Dieß Büchlein iſt in der deutſchen Ueberſetzung, die ſich eben nicht ängſtlich an die Worte bindet, hier und da durch neue Einſchaltungen erweitert, und dürfte bey einer künftigen Auflage, deren es ſich nicht ganz ohne Urſache ſchmeichelt, leicht noch um ein beträchtliches vermehrt werden. Denn unſer Land iſt nicht nur voll von ähnlichen Geſchichten, ſondern auch die Quelle, woraus dieſe entſprungen ſind, wird hoffentlich noch nicht vertrocknet ſeyn. So ein Büchlein, wie dieſes, iſt freylich weder ein [Syſtema], noch [Tractatus], noch [Commentarius], noch [Synopſis], noch [Compendium], und es hat keine einzige von allen Claſſen unſerer vornehmen Academien und Societäten der Wiſſenſchaften daran Antheil. Wenn es indeſſen auch weiter nichts thut, als daß es auf eine unſchuldige Art zu lachen macht, ſo braucht, deucht mich, der Vorredner eben nicht gerade in pontificalibus in Mantel, Kragen und Stutzperücke aufzutreten, um es dem geneigten Leſer ehrbarlich zu empfehlen. Denn es iſt alsdann, ſo klein und frivol es immer ſcheinen mag, leicht mehr werth, als eine ganze große Menge dickbeleibter ehrenveſter Bücher, wobey man weder lachen noch weinen kann, und worin weiter nichts ſteht, als was in hundertmal mehr andern dickbeleibten ehrenveſten Büchern längſt geſtanden hat. Auch paßt alsdann nicht übel hieher eine Stelle aus des alten ehrlichen vergeſſenen {Rollenhagens} Vorrede zu ſeinem Froſchmäuſeler, die ein wenig moderniſirt alſo lautet: Der Graubart, der mit dürren Knochen // Der Lehre nichts kann, als poltern und pochen, // Und hören mag kein luſtiges Wort, // Der packe zuſammen und trolle ſich fort! // Zwar wollen wir’s gänzlich nicht veſchwören, // Ihn auf ein andres Mal zu hören, // Wenn nehmlich uns auch die Naſen blau // Und Haar und Bart ſich färben grau; // Auch ſonſt wohl zu gelegener Stund’. // Denn Wermuth iſt nicht immer geſund. // Man trinkt ja wohl auch neuen Wein, // Und tunkt in friſchen Honig ’mal ein. // Die Natur erneut ein neuer Genuß. // Stets Einerley macht Ueberdruß, // Wie alles der alten Meiſter Trutzen. // Der Wechſel nur ſchafft Luſt und Nutzen. // Man ſchilt oft ſpöttiſch Zeitvertreib, // Was ſtärkt zur Arbeit Seel’ und Leib. // Das nehmen wir nicht zu Herzen und Sinnen, // Und wollen in Gottes Nahmen beginnen. 1. Des Freyherrn von Münchhauſen Eigene Erzählung.