Kandide hatte von Cadix einen Bedienten mitgebracht, wie man deren viel auf den Spaniſchen Küſten und in den Kolonien antrift; einen Viertelſpanier, von einem Meſtizen in Tukumann erzeugt. Er war Kohrknabe geweſen, dann Schulaufwärter, Matroſe, Mönch, Buchhalter, Soldat, und war endlich Lakai geworden; er hies Kakambo und hing ſehr an ſeinem Herrn, weil er eine gar gute liebe Seele war. Dieſer ſattelte in der gröſſten Geſchwindigkeit die beiden Andaluſiſchen Pferde. Wollen dem Rat der alten Mutter folgen, lieber Herr, ſagte er, und zujagen, was nur’s Zeug hält, ohn’ uns umzuſehn.
O traute Kunegunde! rief Kandide, und Thränen floſſen über ſeine Wangen, ſo mus ich Dich denn verlaſſen! mus Dich in dem Zeitpunkt verlaſſen, da der Herr Stathalter uns zuſammenfügen wollte! Muſſt’ ich Dich darum herführen, meine Kunegunde! O was wird aus Dir werden!
Kakambo. Alles guts! ſie wird den Mantel nach dem Winde drehn. Ich möchte das Weib ſehn, das ſich nicht aus der jämmerlichſten Patſche zu helfen wüſſte. Und zu dem ſind ja die Weiber unſers Herr Gotts liebſten Kinder! — Die Sporen in die Rippen, Herr!
Kandide. Wo willſt Du denn hin? Wo geht’s denn zu? Und was wollen wir ohne Kunegunden machen?
Kakambo. Sie haben doch gegen die Jeſuiten wollen zu Felde ziehn, wiſſen Sie was, ziehn Sie für ſie zu Felde. Beim heiligen Jakob vom Compoſtel, ich weis Weg und Steg und will Sie zu ihnen bringen. Das wird ihnen ’ne rechte Herzensfreude ſein, ’nen Hauptmann zu kriegen, der ’s Bulgariſche Manövriren verſteht. Sie werden da ’ne gar herrliche Nummer finden.
Geht’s einem in einem Welttheil ſchief, ſo zieht man in einen andern, und kömt da uf ’nen grünen Zweig; krigt wieder ganz was anders zu ſehn, ganz was anders zu hören und auch ’n ganz ander Stükchen Arbeit, wenn man will. O es iſt ’n gar ſcharmantes herrliches Ding um’s Reiſen!
Kandide. So biſt’u in Paraguai bekannt?
Kakambo. Wie’n Pudel, bei meiner armen Seele! Bin ja Aufwärter geweſen in dem Jeſuiterkollegium zu Aſſumption, weis im Guvernement der Los Padres ſo gut Beſcheid wie uf den Gaſſen zu Cadix. Das iſt Ihnen noch ’n Königreich, das ſich gewaſchen hat. Schon jezt hat’s mehr als dreihundert Meilen im Umkreiſe, und iſt in dreiſſig Provinzen eingetheilt. Los Padres ſchieben alles in ihren Sak, und das Volk hat nicht mal ’ne lahme Laus, die ſein wäre. Wie ſchlau dort die Gerechtigkeit iſt! Wie klug ſie alles eingefädelt haben! O darüber geht nichts!
Ne! ſolche herrliche kapitale Kerls giebt’s gar nicht mehr wie Los Padres! Hier ziehn ſie gegen den König von Spanien und von Portugall zu Felde, dort bebeichten und beabendmalen ſie ſie, hier knikken ſie den Spaniern uf’n Kopf, dort beten ſie ſie mit Leib und Seel in’n Himmel. ’s iſt ganz allerliebſt!
Nur immer die Sporen in die Rippen! — Nun werden Sie erſt recht in’s Wohlleben ’reinkommen und uf ’nen grünen Zweig! Sie werden ſich recht in der Seele freuen, Los Padres, wenn ſie hören, daß ’n Hauptmann zu ihnen ſtöſt, der’s Bulgariſche Manövriren verſteht.
Am erſten Schlagbaume ſagte Kakambo zur Schildwacht: Es wär’ ein Hauptmann da, der dem Herrn Kommandanten ſeine Aufwartung machen wollte. Sofort wird’s der Hauptwache gemeldet, und ein Paraguaiſcher Offizier bringt dem Kommandanten davon Rapport. Kandide und Kakambo werden entwafnet, und die beiden Andaluſiſchen Gäule in Beſchlag genommen.
Man führte ſie durch zwei Reihen Soldaten; am Ende ſtand der Kommandant, ein dreiekkichtes Barett auf, den Rok zurükgeſchlagen, den Degen an der Seite, das Sponton in der Hand. Er winkte, und ſogleich umringten vierundzwanzig Soldaten die beiden Fremden. Ein Sergent ſagte zu ihnen: Sie müſſten ſich gedulden: der Herr Kommandant könnte ſie nicht ſprechen, denn Ihro Hochehrwürden der Pater Provinzial erlaubte keinem Spanier anders als in ſeiner Gegenwart das Maul aufzuthun, und duldete ihn nicht länger im Lande, als höchſtens drei Stunden.
Und wo ſind Ihro Hochehrwürden? frug Kakambo. „Uf der Parade, Sie haben eben Ihre Meſſe geleſen. Vor drei Stunden können Sie ſeine Sporen nicht küſſen.“ „Er iſt aber keen Spanier der Herr Hauptman, und wir möchten beede vor Hunger umfallen. Könnten wir nicht derweil ein bischen frühſtükken, bis Ihro Hochehrwürden kommen?“
Sogleich rapportierte der Sergent dem Kommandanten. Ein Teutſcher! rief er, ein Teutſcher! O Gott Lob, da kann ich ihn ſprechen. Man führ’ ihn in die Gartenlaube. Und man brachte ſie ſofort in ein kleines grünes Luſthaus.
Es war mit einer gar ſtattlichen Reihe von grünen Marmorſäulen geſchmükt, deren Knauf und Schaft vergoldet war; dahinter lief ringsum ein artiges Gitterwerk, worin ſich Papagaien, Kolibris, Fliegenfänger, Pintados und die allerſeltenſten Vögel befanden. Das herrlichſte Frühſtük ward in goldnen Geſchirren aufgetragen. Unter der Zeit lagen die Paraguaier mitten im Felde bei der ſtechendſten Sonne, und aſſen Maiz aus hölzernen Schüſſeln.
Nicht lange, ſo trat der wohlehrwürdige Pater Kommandant herein. Ein bildſchöner junger Mann; ſein Auge war feurig, Lipp’ und Wange rot, die Augenbraunen wohlgewölbt, das Geſicht rund und ziemlich weis. Er hatte in ſeinem Betragen etwas Edelſtolzes, das aber weder den Spanier noch den Jeſuiten ankündigte.
Kandiden und Kakambo’n wurden ihre abgenommnen Waffen und ihre beiden Andaluſier wieder zugeſtellt. Kakambo gab ihnen an der Thüre des Gartenhauſes Hafer zu freſſen, und damit ihnen kein Tukmäuſerſtükchen geſpielt würde, verlies er ſie mit keinem Auge.
Kandide küſſte dem Kommandanten den Saum ſeines Roks, und darauf ſezten ſie ſich zu Tiſche. So ſind Sie ein Teutſcher? fragte ihn der Kommandant in dieſer Sprache. Worauf ich nicht wenig ſtolz bin, Ihro Wohlehrwürden, antwortete Kandide. Bei dieſen Worten fuhren ſie beide zuſammen, ſahen einander ſtarr an, mit einer Bewegung, die ſie nicht bergen konnten.
Der Kommandant. Und aus welcher Provinz?
Kandide. Aus’ dem Rauchloche, dem Herzogthume Weſtphalen, und bin auf dem Ritterſiz Donnerſtrunkshauſen geboren.
Kommandant. Heiliger Gott! wär’s möglich!
Kandide. Welch Wunderwerk!
Kommandant. Sollten Sie’s wirklich ſein?
Kandide. Es iſt gar nicht möglich.
Sie fielen ſich um den Hals, hingen feſt an einander, konnten nicht zu Worte kommen, ſtrömten ſich in Freudenthränen aus.
Kandide erhielt die Sprache zuerſt wieder: So hab’ ich den Bruder der reizenden Kunegunde in meinen Armen! Ja er iſt’s, der Sohn des Herrn Barons. Es iſt Junker Polde, der von den Bulgaren getödtet wurde! Und iſt jezt Jeſuit in Paraguai! Warlich, es geht wunderbar her in der Welt! O Panglos! Panglos! wie würdeſt Du Dich freuen, wenn Du nicht am Galgen hingeſt.
Der Kommandant gab ſeinen Negerſklaven und Paraguaiern, die ihnen in bergkriſtallnen Bechern Wein eingeſchenkt hatten, einen Wink hinauszugehn. Und nun pries er Gott und den heiligen Ignatius tauſendmal und drükte Kandiden an ſeine Bruſt. Sie ſchwammen in Thränen.
Kandide. Schon ſo im Rauſch der Freude Baron! O! viel zu früh! Das vollſte Maas von Seeligkeit erwartet erſt Ihrer! Ihre todtgeglaubte Schweſter lebt, iſt friſch und munter.
Kommandant. Kunegunde lebte noch? Wäre wol auf? Wo iſt ſie denn? wo?
Kandide. Ganz in der Nähe, beim Herrn Stathalter von Buenosayres.
Nun hub Kandide an, alles zu erzählen, was ſich ſeit ſeiner Schlosverweiſung bis zu ſeiner Reiſe nach Amerika zugetragen hatte. Der gejeſuitete Baron lauſchte mit begierigem Ohr, und den vollſten Seelenblikken. Als Kandide ſeine lange Erzählung geendet hatte, fingen ſie als ehrliche Teutſche an, tapfer zu zechen. Und da der Pater Provinzial noch nicht kam, begann der Kommandant ſeine Erzählung wie folget. Kandide war ganz Ohr, und ganz Herz.