Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 41. Die Schlacht bei Portsmouth England hatte das Ultimatum abgelehnt. Hierauf ging an den Befehlshaber der martiſchen Streitkräfte auf dem Südpol der Erde die Weiſung, mit Gewaltmaßregeln unnachſichtlich, doch ohne Blutvergießen vorzugehen. Am zweiten März erfolgte die Kriegserklärung. Eine Mitteilung an die Regierungen und eine Proklamation an alle Völker der Erde beſagte, daß vom ſechsten März mittags zwölf Uhr an England und Schottland von jedem Verkehr abgeſchnitten ſein würden. Von dieſem Zeitmoment an werde die Blockade über die Küſte dieſer Länder effektiv ſein, und zwar in der Art, daß es keinem Schiff geſtattet ſein ſolle, die Zone von fünf bis zu zehn Kilometer Abſtand von der Küſte weder landwärts noch ſeewärts zu überſchreiten. Alle fremden Schiffe müßten bis dahin die engliſchen Häfen verlaſſen haben. Man lachte in England darüber als über eine Aufſchneiderei der Martier. Doch als es ſich in der Nacht vom zweiten zum dritten März herausſtellte, daß ſämtliche Kabel, welche England mit dem Kontinent und mit Irland verbanden, unterbrochen waren und die telegraphiſche Verbindung ſomit aufgehoben war, ohne daß eines der vor der Küſte kreuzenden Kriegsſchiffe bemerkt hatte, wie die hierzu erforderlichen Arbeiten ausgeführt worden ſeien, beeilten ſich die in den Häfen befindlichen fremden Schiffe, ſich zu entfernen. Die in England weilenden Ausländer ergriffen ſcharenweiſe die Flucht. Am Morgen des ſechsten März hatten alle fremden Schiffe, die es irgend ermöglichen konnten, England verlaſſen. Auch die Poſtdampfer legten nicht mehr in den engliſchen Häfen an. Die Flotte war, ſoweit ſie nicht in den Kolonien gebraucht wurde, vor Portsmouth verſammelt. Von allen Schiffen, von allen Befeſtigungen am Land, von den Anhöhen und den Landhäuſern auf Wight ſpähte man nach dem Gegner aus, der ſich anheiſchig gemacht hatte, ein Land von 230.000 Quadratkilometern Fläche mit einer Bevölkerung von 35 Millionen, geſchützt von der ſtärkſten Flotte der Erde, vom Weltverkehr abzuſperren. Nichts war zu ſehen. Die zwölfte Stunde rückte heran. Einige Schiffe, die von der Blockade noch nichts gehört hatten, paſſierten ungehindert die zu ſperrende Zone. Beſonders lebhaft war der Verkehr nach der Inſel Wight. Zahlreiche Perſonendampfer waren hier unterwegs, Boote aller Art belebten das Waſſer. Noch fehlten wenige Minuten zu zwölf Uhr. Die Kriegsflotte im Hafen ging unter Dampf. Majeſtätiſch verließ, allen voran, das neue Rieſenpanzerſchiff ‚Viktor‘ von 15.000 Tonnen mit ſeinen 30.000 indizierten Pferdekräften die Hafeneinfahrt. Die Kanonen donnerten ihren Salut. Nichts Verdächtiges zeigte ſich nach der Seeſeite zu. Aber eine Minute vor zwölf Uhr erſchienen plötzlich über dem Land ſechs dunkle Punkte, die ſich ſchnell vergrößerten. Im Fernrohr erkannte man ſie als Luftboote. In eine Reihe aufgelöſt hatten ſie im Augenblick alle Schiffe überholt und ſenkten ſich dem Waſſer zu. Es ſchlug zwölf Uhr. In demſelben Augenblicke wurde die bis dahin ruhige See lebhaft bewegt. Am öſtlichen Ausgang der Spithead-Bucht, dort wo der Abſtand zwiſchen Wight und der engliſchen Küſte die Breite von zehn Kilometern erreicht, erſchien eine gewaltige Brandung, wie durch ein Seebeben aufgewühlt. Die Schiffe, welche ſich in der Nähe befanden, beeilten ſich, den Wogen zu entgehen, indem ſie nach dem Land zurückkehrten. Nahe über der Oberfläche des Meeres ſchwebend, markierte ein Luftſchiff der Martier den Punkt, bis zu welchem der Abſperrungsgürtel ſich in die Bucht von Spithead hinein zog. Die übrigen verteilten ſich in der Nähe auf der Südſeite von Wight und öſtlich von Portsmouth. Die Martier hatten, indem ſie das Waſſer durch eine Reihe von Repulſitſchüſſen aufregten, nur die weiter als fünf Kilometer von der Küſte befindlichen Schiffe vertreiben wollen. Weiter durfte ſich von jetzt ab kein Schiff vom Land entfernen und keines näher als zehn Kilometer ſich der Küſte nähern. Indeſſen blieb der Verkehr weſtlich von dem markierten Punkt zwiſchen Wight und der Küſte ungehindert, die Inſel gehörte mit in den blockierten Bezirk. Ein großer engliſcher Dampfer, von Le Havre nach Southampton zurückkehrend, wurde ſichtbar. Schneller als ein Pfeil durch die Luft ſchießend, erreichte ihn eines der Marsſchiffe und rief ihm, dicht an Bord hinſchwebend, den Befehl zu, umzukehren. Wohl wußte der engliſche Kapitän, daß er ſein Schiff aufs Spiel ſetze, wenn er dem Gebot nicht folge. Aber von dem Ausguck haltenden Matroſen war ihm bereits gemeldet, daß die Kriegsflotte in der Bucht unter Dampf ſei und auf ihn zuhalte. Schon näherte ſich der ‚Viktor‘ dem Luftſchiff, welches die Sperrgrenze markierte; eine Granate ſauſte unter dem ſchnell aufſteigenden Luftſchiff fort. Unter dieſen Umſtänden glaubte der Kapitän, dem Befehl des Marsſchiffes Trotz bieten zu können, und ſetzte ſeinen Kurs fort. Aber ſofort richtete ein Schlag, der das Schiff an ſeinem Vorderteil traf, eine ſtarke Verwüſtung auf dem Deck an, und von dem Marsſchiff wurde ihm zugerufen, daß, wenn er nicht ſofort wende, ſein Schiff auf der Stelle in Grund gebohrt werden würde. Nun zögerte der Kapitän nicht länger und entfernte ſich wieder vom Land, in der Hoffnung, die Flotte werde den Weg bald freimachen. Inzwiſchen begann ſich die Kriegsflotte in einer Stärke von gegen dreihundert Schiffen, darunter zwanzig Panzerſchiffe erſter Klaſſe, in der Bucht von Spithead zu entwickeln und ſchickte ſich an, die blockierte Linie zu forcieren, auf der man nichts bemerkte als drei langſam hin- und hergleitende Luftſchiffe der Martier. Auf dieſe konzentrierte ſich jetzt das Feuer von vielleicht fünfzig Geſchützen ſtärkſten Kalibers. Geſchoß auf Geſchoß flog gegen die in mäßiger Höhe ſchwebenden Ziele. Aber ſeltſam! Nicht ein einziges Geſchoß ſchien zu treffen. Völlig ruhig, als exiſtierte für ſie der Angriff gar nicht, ließen die Martier die Flotte herankommen. Allen voran dampfte die Rieſenmaſſe des ‚Viktor‘. Sein gepanzertes Verdeck war, in Rückſicht auf die Erfahrungen der ‚Prevention‘ mit dem martiſchen Luftſchiff, mit einer beſonderen Konſtruktion von Schießſcharten verſehen, um einen in der Höhe befindlichen Gegner mit Gewehrkugeln begrüßen zu können. Aber das Marsſchiff, gegen welches ſich jetzt die Handfeuerwaffen richteten, ſchien gegen dieſelben gefeit zu ſein. Unheimlich erſchien dieſe Ruhe des Feindes, den man bald direkt über ſich erblicken mußte. Jetzt konnte man an einem der aus dem Hafen dampfenden Schiffe die Admiralsflagge unterſcheiden. Sofort hißte auch eines der Marsſchiffe, um ſich den Engländern, dem menſchlichen Gebrauch folgend, kenntlich zu machen, die Flagge, welche die Anweſenheit des oberſten Befehlshabers an Bord bezeichnete. Es war dasſelbe Schiff, das den von Le Havre kommenden Dampfer eben zurückgewieſen hatte. In noch nicht einer Minute hatte es die zehn Kilometer zurückgelegt, die es vom engliſchen Admiralsſchiff trennten, und hier legte es ſich direkt zur Seite des Kommandoturmes, in welchem ſich der Admiral, ein königlicher Prinz, neben dem Kapitän des Schiffes befand. Vergeblich richtete ſich ein Hagel von Geſchoſſen gegen das kühne Luftſchiff. Es ſchien in einem leichten Nebel zu ſchwimmen, in welchem Granaten wie Langblei wirkungslos zerrannen. Und nun geſchah etwas ganz Unerwartetes. Immer näher rückte das Luftſchiff dem Kommandoturm, und lautlos, ein unerhörtes Wunder, löſten ſich die ſtählernen Platten des Panzerturms auf der Seite des Luftſchiffs und verdampften oder verſchwanden in der Luft. Schutzlos ſahen ſich die Befehlshaber dem ſchwebenden Feind gegenüber. Aber kein Angriff auf ſie erfolgte. Durch den Donner der Geſchütze der in der Front befindlichen Schiffe geſchwächt, aber deutlich verſtändlich vernahmen ſie die engliſchen Worte: „Der Oberbefehlshaber der martiſchen Luftflotte, Dolf, beehrt ſich an Ew. kgl. Hoheit die Bitte zu richten, ſämtlichen unter Ihren Befehlen ſtehenden Schiffen die Weiſung zu erteilen, die Flagge zu ſtreichen und ſich binnen einer Stunde in den Hafen von Portsmouth zurückzuziehen. Ich würde mich ſonſt gezwungen ſehen, jedes Schiff, das nach zehn Minuten noch ſeine Flagge zeigt oder einen Schuß abgibt und das nach einer Stunde ſich nicht im Hafen befindet, zu verſenken, und müßte Ew. kgl. Hoheit für die entſtehenden Verluſte verantwortlich machen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, war das Luftſchiff verſchwunden. Aber ehe es noch in die Linie der Marsſchiffe zurückgekehrt war, hatte der ‚Viktor‘ den Punkt erreicht, den nach der Inſtruktion der Martier kein Schiff überſchreiten durfte. Da ging das dort befindliche Luftſchiff aus ſeiner Warteſtellung. Es ſenkte ſich direkt hinter dem Panzerſchiff bis dicht über die Oberfläche des Waſſers und drängte ſich an ſeine Rückſeite. Die Nihilithülle des Luftſchiffes, die es gegen jeden Angriff ſchützte, zerſetzte die fünfzig Zentimeter dicken Panzerplatten binnen ebenſoviel Sekunden. Ein Repulſitſchuß zerſtörte das Steuer, ein zweiter ſchlug ſchräg von oben nach unten durch das Schiff und zerbrach eine Schraubenwelle. Das Rieſenſchiff war unfähig, ſich zu bewegen. Jetzt erhob ſich das Luftſchiff wieder und ſchmolz das Dach des Kommandoturms ab. Mit Entſetzen ſah der Kapitän das Schiff über ſich ſchweben, während die von ſeiner Mannſchaft auf dasſelbe gerichteten Schüſſe nicht die geringſte Wirkung zeigten. Ratlos ſtarrte er in die Höhe. Dieſe Art des Kampfes mit einem unverletzbaren Gegner mußte auch den Tapferſten entmutigen. Aus dem Marsſchiff kam eine Stimme: „Die geſamte Beſatzung in die Boote. Das Schiff wird verſenkt. Wir müſſen ein Exempel ſtatuieren, damit unſre Befehle künftig beſſer befolgt werden.“ Der Kapitän ſah, daß er verloren war. Er ließ die Boote bemannen und abſtoßen. Er ſelbſt blieb im Kommandoturm, entſchloſſen, mit dem Schiffe, deſſen Flagge im Winde flatterte, unterzugehen. Die Boote entfernten ſich. Das Marsſchiff drängte ſeinen Nihilitpanzer an die Seite des Panzerſchiffes, dicht über der Waſſerlinie. Die eiſernen Wände öffneten ſich, während ſich das Marsſchiff in die Luft erhob. Es wandte ſich nach dem Kommandoturm, um den Kapitän an ſeiner Selbſtaufopferung zu verhindern. Aber ſchon neigte ſich der Koloß ‚Viktor‘ zur Seite. Mit wehender Flagge ſank er in die Flut, die ſich weitaufbrauſend über ihm und ſeinem Führer ſchloß. Der Kommandant des Marsſchiffes trieb ſein Boot dicht über den ſchäumenden Wirbel hin, um nach dem Kapitän des ‚Viktor‘ zu ſuchen. Die Woge brachte ihn nicht zurück. Die Augen der Martier verdüſterten ſich, und finſterer Ernſt lagerte über ihren Zügen. Noch einmal umkreiſte das Boot langſam die Stelle. „Wir ſollen den Willen der Menſchen brechen“, ſagte der Anführer, den Gedanken der Seinigen Worte leihend, „aber kein Menſchenleben ſoll mit unſerem Willen zugrunde gehen. Doch der Wille dieſes Tapfern war ſtärker als der unſere. Er konnte nicht leben, der das ſtärkſte Schiff der Erde nicht weiter als drei Seemeilen über den Hafen hinausgebracht hatte. Gott verzeihe uns, wir wollten nicht töten.“ Ein Signal weckte die Mannſchaft aus ihrer Stimmung, die mehr der eines Beſiegten als eines Siegers glich. Das Luftboot des Oberbefehlshaber Dolf war zurückgekehrt. „Vorwärts!“ rief er dem erſten Marsſchiff zu, „drei andere Panzerſchiffe durchbrechen die Linie. In den Grund mit ihnen!“ Der Offizier gehorchte ſchweigend. „Wir ſind keine Mörder“, murmelte es in der Mannſchaft. Aber das Luftboot ſtürzte ſich auf ein zweites Panzerſchiff und zerſchmetterte ihm das Steuer und die Maſchine. Ein Gleiches taten die übrigen Boote mit den engliſchen Schiffen, welche die Grenze der Blockade überſchritten. Als ein ſteuerloſes, hilfloſes Wrack trieben bereits ſieben Panzerſchiffe erſter Klaſſe auf den Wellen. Aber die Martier verſenkten ſie nicht, weil ſie jeden Augenblick erwarteten, daß der engliſche Admiral das Signal zur Ergebung und zum Rückzug der Flotte geben würde. Doch nichts dergleichen geſchah. Die zehn Minuten waren längſt abgelaufen. Die Flotte rückte weiter vor. Der Admiral konnte ſich nicht entſchließen, ſo ruhmlos die Waffen zu ſtrecken, obwohl ihn ein Grauen vor dem unerreichbaren Gegner umfing. Das Verderben nahm ſeinen Fortgang. Die Martier begnügten ſich überall damit, die Maſchinen und Steuervorrichtungen zu zerſtören. Obwohl ſie ihre ſicheren Repulſitſtröme nur auf das Material wirken ließen, traten trotzdem hier und da Exploſionen und Zerſchmetterungen ein, denen auch Menſchenleben zum Opfer fielen. Doch waren die Verluſte der Engländer an Mannſchaft gering, ihre Schiffe aber kampfunfähig. Bleiches Entſetzen bemächtigte ſich allmählich der Offiziere und Matroſen, als ſie ſahen, daß ſie dem Feind ſchutzlos preisgegeben waren. Ihre herrlichen Fahrzeuge waren ein Spiel der Wellen. Von den Luftſchiffen der Martier, die unverletzlich blieben, verließ nur von Zeit zu Zeit eines den Kampfplatz, um von einem in großer Höhe ſchwebenden Munitionsſchiff ſeinen Vorrat an Nihilit und Repulſit zu ergänzen. Eine halbe Stunde mochte dies nutzloſe Ringen gedauert haben, als auch das Admiralsſchiff manövrierunfähig wurde. Ein Luftſchiff überſegelte ſeine Maſten, und die Flagge verſchwand. Was ſich von Schiffen noch bewegen konnte, ſuchte in den Hafen zu fliehen. Aber dies nützte nun nichts mehr. Ein großer Teil der Schlacht war direkt unter den Kanonen der Feſtungswerke geſchlagen worden. Sie konnten die Vernichtungsarbeit der Martier nicht beeinträchtigen. Die Luftſchiffe gingen in den Hafen und zerſtörten ſyſtematiſch die Bewegungsmechanismen ſämtlicher Schiffe. Nun wurde von den Engländern die Parlamentärflagge aufgezogen. Die Martier verlangten als erſte Bedingung, daß die Mannſchaft der kampfunfähigen Schiffe geborgen werde. Alles, was an Handelsſchiffen und Booten aufzutreiben war, wurde darauf nach der Reede entſandt und brachte die Mannſchaft der außer Bewegung geſetzten Schiffe ans Land. Die Engländer hatten jetzt eingeſehen, daß es ganz nutzlos ſei, ihr Pulver zu verſchießen. Sie konnten nur noch darauf bedacht ſein, das Leben der Seeleute zu ſchonen und weiteren Materialſchaden zu vermeiden. Als alle Menſchen und die Hilfsflottille wieder im Hafen angelangt waren, legten ſich zwei der Marsſchiffe vor die Mündung und erklärten den Hafen für geſperrt. Die herrenloſen Schiffe trieben unter einem leichten Weſtwind allmählich in den Kanal hinaus und wurden nach und nach von franzöſiſchen, holländiſchen und deutſchen Dampfern geborgen, die ſich in großer Anzahl in ſicherer Entfernung von der Blockadelinie angeſammelt hatten und Zeugen des rätſelhaften Vernichtungskampfes geworden waren. Ähnliche Vorgänge wie bei Portsmouth, nur in kleinerem Maßſtab, ſpielten ſich überall ab, wo ſich Kriegsſchiffe an der engliſchen Küſte vorfanden. Die Martier hatten Punkt 12 Uhr am 6. März die geſamte Küſte von England und Schottland in ihrer Ausdehnung von faſt 4.800 Kilometer mit ihren Luftſchiffen beſetzt, deren ſie vorläufig 48 zur Verfügung hatten. So kam im Durchſchnitt eine Küſtenlänge von 100 Kilometer auf jedes Schiff. Doch dehnte ſich dieſe Strecke, je nach der Beſchaffenheit der Küſte, für manche Schiffe auf 500— 600 Kilometer aus, während ſich die Marsſchiffe vor den beſuchten Häfen dichter gruppierten. Wo ein Schiff ſich zeigte, ſtürzte ſofort ein Luftſchiff der Martier herbei und zwang es zur Umkehr oder vernichtete es im Fall des Ungehorſams auf eine ſolche Weiſe, daß ſich die Mannſchaft gerade noch nach der Küſte retten konnte. Von außen kommende fremde Schiffe wurden einfach durch einen ins Waſſer abgegebenen Repulſitſchuß zurückgetrieben. Tatſächlich gelangte außer den einheimiſchen, kleineren Fiſcherbooten, die man paſſieren ließ, kein Schiff mehr vom 6. März an nach der engliſchen Küſte, keines gelangte ins Ausland. An dieſem Tage ward die Macht Englands gebrochen. Die Flotte war vernichtet. Wut und Beſtürzung herrſchten im ganzen Land. In London war man ratlos. Niemand wußte, wie man ſich gegen einen ſolchen Feind verhalten ſolle. Das Miniſterium trat zurück, aber es fanden ſich keine Nachfolger. Man wollte um Frieden bitten, aber die aufgeregte Volksſtimme rief nach Rache. Endlich entſchloß man ſich, den Widerſtand fortzuſetzen, in der Hoffnung, daß ſich Hilfe von auswärts finden werde oder daß man irgendein Mittel entdecke, die Blockade zu brechen. So vergingen Wochen, in denen man nichts hörte, als daß die Martier in dieſem oder jenem Hafen noch ein armiertes Schiff entdeckt oder verſenkt, daß ſie hier eine Werft, dort ein Dock vernichtet hätten. Alle Verſuche, den geſperrten Gürtel heimlich im Schutz der Nacht zu paſſieren, blieben vergeblich. Die Marsſchiffe, einen Weg von hundert Kilometern in ſieben bis acht Minuten durchſauſend, beleuchteten mit ihren Scheinwerfern den geſperrten Streifen taghell, und ehe ein Schiff ſich weit genug entfernen konnte, war es aufgefunden. Selbſt der Nebel ſchützte nicht vor Entdeckung. Denn nach einigen Tagen hatten die Martier einen großen Teil der Küſte mit einem dünnen, ſchwimmenden Kabel umzogen, deſſen Berührung durch ein Schiff ihnen ſofort die getroffene Stelle anzeigte. Und keine Nachricht von außen! Der Handel unterbrochen, alle Arbeiter, deren Beſchäftigung von der Schiffahrt abhing, ohne Tätigkeit. Und ſchon begann die mangelnde Einfuhr der Lebensmittel in einer drückenden Erhöhung der Preiſe ſich zu zeigen. England war aus der Welt geſtrichen. Aber die Welt ging weiter. Neue Raumſchiffe kamen an mit neuen Luftbooten. Dieſe gingen nicht zur Verſtärkung der Blockade ab, ſondern ſie ſuchten die engliſchen Kriegsſchiffe in den Kolonien auf und bedrohten ſie mit Vernichtung, ſoweit nicht die Befehlshaber ſich in den Dienſt der Kolonien ſtellten. Letztere ſahen ſich plötzlich auf ſich ſelbſt angewieſen. Indien, Kanada, die auſtraliſchen Kolonien und das Kapland erklärten ſich für unabhängig und ſetzten ſelbſtändige Regierungen ein. Dasſelbe tat Irland. Die Marsſtaaten erkannten ſie als ſouveräne und neutrale Staaten an, und ſo gewaltig war der Eindruck, den die Vernichtung der engliſchen Flotte auf der ganzen Erde gemacht hatte, daß kein Staat Einſpruch gegen dieſe Veränderungen erhob. Keine Hand rührte ſich für England. Die anderen Nationen beeilten ſich vielmehr, die bisherigen Handelsgebiete Großbritanniens für ſich zu ſichern. Von den kleineren Kolonien zog jede Macht an ſich, was ſie zur Abrundung oder zur beſſeren Verbindung ihres Beſitzes für nötig hielt. Die Beute war vorläufig ſo reich, daß man ſich an diejenigen Gebiete noch nicht machte, die zu Streit unter den Erbteilern hätten Anlaß geben können. Im ſtillen verhandelten die europäiſchen Großmächte über eine Teilung des engliſchen Beſitzes am Mittelmeer und eine Auflöſung der Türkei. Jetzt erſt ließen die Martier Zeitungen der auswärtigen Staaten nach England gelangen. Was man dort längſt befürchtet hatte, war eingetroffen. Die Völker teilten ſich in die engliſche Erbſchaft, ohne ſich viel darum zu bekümmern, ob der Erblaſſer wirklich tot ſei. Das gab den Ausſchlag. Die Furcht, auch das Letzte zu verlieren, bändigte den engliſchen Nationalſtolz. Man bat um Frieden. Alles, was die Martier verlangt hatten, wurde zugeſtanden, nur den Kapitän Keswick und den Leutnant Prim konnte man nicht mehr beſtrafen. Sie waren bei einem Verſuch, die Blockade zu brechen, mit ihrem Schiff untergegangen, von den Martiern aber gerettet worden. Sie befanden ſich als Gefangene bereits am Nordpol. Aber auch den gegenwärtigen Zuſtand in den Kolonien und die Abmachungen der Mächte über die Türkei mußte England anerkennen. Dafür erklärten die Marsſtaaten, das nun wehrloſe England gegen alle etwaigen weiteren Angriffe auf ſeinen nunmehrigen Beſtand ſchützen zu wollen. England hatte einen Protektor. — — Nach einer durch ungeheuren Repulſitverbrauch beſchleunigten Fahrt von nur ſiebzehn Tagen war Ill auf dem Nordpol der Erde eingetroffen. Am fünften April war der Präliminarfriede geſchloſſen und die Blockade aufgehoben worden. Aber nicht nur das gedemütigte England beugte ſich dem Sieger, der unter den Kanonen von Portsmouth dreihundert Kriegsſchiffe binnen drei Stunden durch ein halbes Dutzend Luftſchiffe mit nur 144 Mann Beſatzung vernichtet hatte. Was die Nachrichten über die hohe Kulturaufgabe der Martier nicht vermocht hatten, das Entgegenkommen der ziviliſierten Erdſtaaten zu gewinnen, das brachte die Bezwingung Englands durch Nihilit und Repulſit alsbald zuſtande. Es begann ein förmlicher Wetteifer der Regierungen, die Gunſt des martiſchen Machthabers zu gewinnen, der aus dem reichen engliſchen Beſitz Länder und Meere verſchenkte. Die Marsſtaaten waren unter dem Namen ‚Polreich der Nume‘ nicht nur als ein Faktor im Rat der Großmächte anerkannt, ſie nahmen bereits tatſächlich die führende Stellung ein. Unter dem Titel eines Präſidenten des Polreichs und Reſidenten von England und Schottland übte Ill die Regierungsgewalt im Auftrag der Marsſtaaten aus. Alles dies war geſchehen, ohne daß ein Martier ſein Luftſchiff verlaſſen hatte. in dem großen, in einem Park Londons auf weiter Wieſenfläche ruhenden Luftſchiff empfing Ill die Miniſter Englands und die Geſandten der fremden Staaten. Es erregte daher trotz allem Ungewöhnlichen, das man im letzten Jahr erlebt hatte, nicht geringe Spannung und Befriedigung, daß der Präſident des Polreichs bei den Höfen und Regierungen in Berlin, Wien, Petersburg, Rom, Paris und Washington um einen perſönlichen Empfang nachſuchen ließ. Es verlautete, daß ſich daran die Einſetzung ſtändiger Botſchafter in dieſen Hauptſtädten und ein von den Martiern einzurichtender regelmäßiger Luftſchiffverkehr mit dem Pol anſchließen werde. Im ſtillen hoffte man, daß das geheimnisvolle Grauen, welches die Perſonen der Martier für die Menſchen umhüllte, verſchwinden werde, ſobald man Gelegenheit haben würde, ſie außerhalb des Schutzes ihrer Luftſchiffe unter der natürlichen Schwerkraft der Erde ſich beugen zu ſehen. Der einzige Menſch auf der Erde, der dieſe Hoffnung nicht teilte, war vielleicht Grunthe. Er war überzeugt, daß Ill dieſen Schritt nicht getan hätte, wenn nicht die Martier zuvor ein Mittel entdeckt hätten, ſich auch außerhalb ihrer Schiffe vom Druck ihres Körpergewichts zu befreien. 42. Das Protektorat über die Erde