La ließ ihre Hände von der Schreibmaſchine herabgleiten und lachte herzlich, indem ſie ſich in ihrem Seſſel zurücklehnte.
„Nein“, ſagte ſie, „das iſt ja nicht zu glauben! Das iſt wirklich zu komiſch. Dieſe Bate! ich glaube, da muß ſelbſt Schti lachen.“
Ein allerliebſtes, ſchneeweißes Flügelpferdchen, nicht größer wie ein kleines Kätzchen, flatterte von dem Büchergeſtell, wo es geſeſſen, auf die Lehne von Las Armſtuhl und blickte ſie mit ſeinen klugen Augen ernſthaft an. Das Tierchen ſah wirklich aus wie ein Miniatur-Pegaſus, nur hatte es ſtatt der Hufe zierliche Zehen, mit denen es ſich anklammern konnte. Zoologiſch betrachtet gehörte es zu den Inſekten und war eine Art Heuſchrecke, die aber auf dem Mars warmes Blut beſaßen und die höchſtentwickelte Gruppe der Inſekten darſtellten. Der Kopf war der eines Pferdes mit faſt menſchenähnlichem Ausdruck, die Flügel ſaßen an den Schultern und glichen denen einer Libelle.
„Schti muß lachen!“ ſagte La.
Das Tierchen ſtieß einen Laut aus wie eines helles Lachen. „Ko Bate, Ko Bate“, ſprach es dann deutlich.
La ſtreichelte ihm das weiche Fellchen, und es rieb ſein Köpfchen an ihrer Hand.
„Schti muß ſtudieren!“ Das gut abgerichtete Tierchen flog auf das Bücherbrett und ſetzte ſich gravitätiſch hin.
La fuhr in ihrer Schreibarbeit fort. Auf dem Geſtell über der Schreibmaſchine ſtand eines der deutſchen Bücher, die Ell mitgebracht hatte. Es war ein kurzgefaßter Grundriß der ‚Weltgeſchichte‘, das heißt des wenigen, was man über die Geſchichte der abendländiſchen Menſchheit wußte. La überſetzte das Buch in Ills Auftrag ins Martiſche. Während ſie ihre Augen langſam über den Text gleiten ließ, lagen ihre Hände auf der Klaviatur und ihre Finger ſchrieben ganz mechaniſch in martiſchen Zeichen den Sinn der geleſenen Sätze nieder. Die Arbeit nahm ihre Aufmerkſamkeit nicht mehr in Anſpruch, als der Strickſtrumpf die einer älteren Kränzchendame, und hinderte ſie nicht, ſich lebhaft mit Ell zu unterhalten, der zum Beſuch gekommen war.
„Es iſt eigentlich mehr traurig als komiſch“, ſagte Ell. „Denn die Sache geht nicht immer bloß mit dem Knallen ab. Oft genug kommen ſchwere Verwundungen und Todesfälle vor, und das Leben eines Mannes, der verpflichtet wäre, der Menſchheit und den Seinigen ſich zu erhalten, iſt einem ſinnloſen Vorurteil hingeopfert.“
„Das iſt abſcheulich. Aber ich denke, Vernunft und Geſetz verbieten den Zweikampf. Wie iſt er denn noch möglich?“
„Durch Unvernunft. Es gibt nämlich Menſchen, die ſich einbilden Vernunft und Geſetz ſeien zwar ganz gut für das Volk, aber dieſes würde den Reſpekt vor Vernunft und Geſetz verlieren, wenn es nicht durch eine auserwählte Gruppe von Menſchen in Schranken gehalten würde. Dieſe Auserwählten könnten ſich jedoch nur dadurch als ſolche erweiſen, daß ſie ſich einen gewiſſen Zwang, eine Pönitenz auferlegten, indem ſie ſelbſt zum Teil auf das höchſte Gut der Menſchheit, Vernunft und Freiheit, verzichten und ſich zum Sklaven überlebter Formen machen. Sie meinen wohl, durch den Widerſpruch, den ihre Sitten erwecken, in der Allgemeinheit die Herrſchaft der Vernunft um ſo mehr zu ſtärken.“
„Welch edle Seelen, ſo zum Beſten der Kultur ſich ſelbſt zu opfern! Ein wahrhaft menſchlicher Gedanke, die Kultur durch Unkultur des eigenen Lebens zu fördern! Es wäre ein bloßer Irrtum, wenn er nicht leider dadurch unmoraliſch würde, daß der egoiſtiſche Zweck unverkennbar iſt.“
„Gewiß, ſich ſelbſt als Kaſte zu unterſcheiden. Es will jeder etwas Beſonderes ſein.“
„Das ſoll er ja auch“, ſagte La, „etwas Beſonderes aber nur durch ſeine Freiheit, durch die innere Freiheit, mit der wir die Mittel beſtimmen, in unſerm Leben das Vernunftgeſetz zu verwirklichen. Aber dieſe Leute laſſen, nach Ihrer Schilderung, die innere Freiheit gar nicht gelten, weil ſie ſie nicht kennen. Sie ſetzen ihre Ehre in Äußerlichkeiten. Ich kann mir denken, wie ſchwer es ihnen ſein mußte, in dieſer Geſellſchaft zu leben.“
„Ich kann auch nicht in ihr leben“, erwiderte Ell. „Für ſie beſteht die Ehre eines Menſchen in dem, was andere von ihm halten und ſagen; deswegen glauben ſie auch, ſie könnte durch Beleidigungen vernichtet, durch rohe Gewalt wiederhergeſtellt werden. Als ob mich der Wille eines andern erniedrigen könnte, als ob es nicht die größte Selbſterniedrigung wäre, die eigene Vernunftbeſtimmung der fremden Meinung unterzuordnen! Und da ich in ihr leben mußte, ſo war mein inneres, wahres Leben eine Lüge in ihrem Sinne, eine Umgehung ihrer konventionellen Sitten. Doch das iſt das wenigſte, das iſt für mich nur unangenehm, für meine Freunde beſchwerlich. Aber das Unerträgliche, das Schmerzende liegt in dem Gedanken, daß dieſe Millionen und Abermillionen vernünftiger Weſen durch ihre bloße Dummheit, durch die mangelhafte Entwicklung ihres Gehirns, durch die fehlende Bildung in einem Zuſtand gehalten werden, der ſie ſchwach, elend, unglücklich, unzufrieden und ungerecht macht. Denn ſie ſind nicht böſe. Sie wollen das Gute, ſie wollen die Freiheit. Ihr Gefühl iſt lebendig und warm. Darin ſind ſie uns gleichſtellend; die Idee des Guten, als die Selbſtbeſtimmung, durch die wir Vernunftweſen ſind, iſt in ihnen wirkſam wie in uns, inſofern ſind ſie unſere Brüder. Aus der Menſchheit erblühten Religionen tiefſter Wahrhaftigkeit und Kraft, die ihnen die Offenbarung gaben, um die es ſich handelt — unſer individuelles Leben in Raum und Zeit, den Inhalt unſres Daſeins, den wir Natur nennen, zu geſtalten zu einem Mittel, um als freie Vernunftweſen über Raum und Zeit das Reich der Ideen zu umfaſſen. Und Weiſe ſind ihnen erſtanden, die gezeigt haben, wie es zu begreifen ſei, daß das Leben des einzelnen abrollt wie ein Rädchen im Getriebe der Weltenuhr und dennoch das Ich deſſen, der es ſelbſt lebt, das ganze Uhrwerk erſt zu ſchaffen hat. Aber die wenigſten haben die Weisheit verſtanden. Sie haben das Geſetz, aber ſie mißdeuten es und wiſſen es nicht anzuwenden; ſie verfallen ſtets in Irrtum. Und deswegen, weil es Unwiſſenheit iſt und nicht Mangel an Wille und an Gefühl für das Gute, deswegen glaube ich, daß wir der Menſchheit helfen können. Verſtändiger müſſen wir ſie machen — nur nicht verſtändiger im Sinne der Menſchen, für die verſtändig nur bedeutet: klug ſein auf Koſten der andern.“
„Möge Sie dieſer Glauben nicht täuſchen. Ich fürchte, es iſt nicht bloß der Mangel an Verſtändnis des Zuſammenhangs der Dinge, es iſt noch mehr die Unfähigkeit, das wirklich zu wollen, was man als gut erkannt hat, es iſt die Schwäche des Charakters hier, die Stärke des Egoismus dort, weshalb die Menſchen den unvermeidlichen Kampf ums Daſein in ſo bedauernswerter Weiſe führen.“
„Das beſtreite ich nicht, daß dieſe Mängel zur Erniedrigung der Menſchen beitragen, aber doch nur ſubjektiv, indem ſie den einzelnen unfähig machen, des Glücks der inneren Freiheit ſich zu erfreuen. Aber auch hier kann nur eine Vertiefung der Einſicht helfen. Die Handlungen ſind ja immer bedingt durch diejenigen Vorſtellungen, denen der höchſte Gefühlswert zukommt, und dieſe Gefühlswerte richtig zu verteilen, iſt Sache der Bildung.“
„Wenn aber jemand“, ſagte La, „ganz genau weiß, zum Beiſpiel ein Schüler, deine Pflicht verlangt jetzt, das und das zu tun, dieſe Arbeit zu vollenden, und wenn du es nicht tuſt, ſo wirſt du nicht bloß Reue haben, ſondern auch ſinnlich ſchwer dafür büßen, und trotz dieſer klaren Einſicht verleitet ihn doch eine momentane Luſt, und ſei es bloß das Luſtgefühl der Faulheit, die Arbeit nicht zu tun, ſo ſehen Sie doch, alle Einſicht hilft nichts gegen die Willensſchwäche.“
„Das ſpricht gerade für mich“, erwiderte Ell lebhaft. „Willensſchwäche iſt doch nur falſche Richtung des Willens, Richtung auf das Unterlaſſen ſtatt auf das Handeln. Vorſtellungen ſind immer dabei entſcheidend. Die Einſicht war dann eben tatſächlich noch nicht vorhanden, nicht umfaſſend genug. Dem Schüler in Ihrem Beiſpiel haben ſich etwa die Vorſtellungen eingeſchlichen, die an ihn geſtellte Forderung ſei ein unberechtigter Zwang oder die gefürchteten Nachteile werden zu umgehen ſein und dergleichen. Der Erwachſene, der den Zuſammenhang klarer durchſchaut, wird einfach ſeine Pflicht tun. In anderen Fällen wird er ſich in der Lage des Schülers befinden, aber dieſe Fälle werden immer ſeltener, je weiter die Einſicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, ſo daß ich den Gegner verletze, ſo beruht mein Fehler darauf, daß ich nicht Zeit zur Überlegung hatte. Warum ſind die Nume ſoviel milder als die Menſchen? Weil ſie ſchneller denken. Im Augenblick des Affekts iſt das Bewußtſein des Menſchen ganz vom ſinnlichen Reiz erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu durchlaufen, die ihm die Folgen ſeiner Handlungen zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann iſt es zu ſpät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber ſein Gehirn iſt ſo geübt, daß im Moment der ganze Zuſammenhang der Folgen ſeines Zuſtandes ihm ins Bewußtſein tritt und ſein Handeln beſtimmt. Das iſt es, was man Beſonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten ſie die Griechen für die höchſte der Tugenden, aber ſie wußten ſie nicht zu erringen. Laſſen Sie uns den Irrtum verringern, und wir werden die Menſchen beſſern.“
„Die Leidenſchaften werden Sie nicht ausmerzen.“
„Daran denke ich natürlich nicht. In ihnen ruht ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen ſich ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und müſſen wir durch den Verſtand regulieren. Auch die Schwächen der Nume — und die werden Sie nicht leugnen — beruhen auf demſelben Grund wie die der Menſchen. Sie ſind vom Leben ſinnlicher Weſen untrennbar. Die ſtarken Gefühle ſind die großen Reſervoirs der Energie des Gehirns, aus denen ſie zur Wechſelwirkung des Lebens herausſtrömt. Wären ſie nicht mehr da, ſo hörte das Leben auf, ſo hörte das Denken auf. Aber auf den Weg kommt es an, den die Entladung der Gehirnenergie bei der Exploſion des Gefühls nimmt. Es iſt damit wie bei unſern Gebirgen auf der Erde. Sie ſind die Sammelbecken der Gewäſſer, die von ihnen herabſtrömend den Völkern ihre ſegenſpendende Kraft verbreiten. Die Niveauunterſchiede müſſen überall ſein, wo Energieaustauſch, wo Leben und Geſchehen ſein ſoll. Aber wie dieſes Herabſtrömen ſtattfindet, das macht den Unterſchied von Barbarei und Kultur. Der reißende Wildbach zerſtört und verrinnt nutzlos. Bepflanzen wir die Abhänge, verteilen wir die Waſſer, führen wir ſie durch Turbinen und wandeln ihre Arbeit durch Maſchinen um, ſo ſchaffen ſie die Kultur. Dieſe Pflanzungen, dieſe Maſchinen ſind im Gehirn die Zellen der Rindenſubſtanz, in denen der Weltzuſammenhang ſich bildet. Die Macht des Gedankens iſt es, die den Ausgleich der Gefühle zur Kultur lenkt. Und dieſe läßt durch Lehre und Erziehung ſich erweitern. Das zu tun, ſind wir den Menſchen ſchuldig, wie Erwachſene den Kindern. Denn Kinder ſind ſie.“
„Ja“, ſagte La, „Kinder ſind ſie, das habe ich auch gefunden, und darum mögen Sie in Ihren Anſichten recht haben, Ell. Wie das Kind nur die eine Wirklichkeit kennt, wie das Spielzeug, die Mutter und die Erde am Himmel ihm keine andre Realität beſitzen als ſeine Hand, und dieſe keine andere als das Produkt ſeiner Phantaſie, ſo können auch die Menſchen die Arten der Wirklichkeit nicht unterſcheiden. Selbſt ein geiſtig ſo hochſtehender Mann wie Saltner vermag es nicht zu begreifen, daß dasſelbe lebendige Individuum gleichzeitig ganz verſchiedene Realitäten beſitzt, je nach dem Zuſammenhang, in welchem es ſich beſtimmt. Die Frau an der Schreibmaſchine iſt ein Stück Naturmechanismus, die den notwendigen Zuſammenhang zwiſchen verſchiedenen Zeichen für dieſelbe Vorſtellung regiſtriert, wenn ſie, wie ich hier, eure langweilige Geſchichte überſetzt. Dieſelbe Frau, wenn ſie den Freund zärtlich anblickt, iſt ein Stück des Phantaſieſpiels, das unſer Leben mit ſeinem ſchönen Schein verklärt. Und wenn ſie ein Verſprechen einlöſt, iſt ſie ein Stück der ethiſchen Gemeinſchaft der Nume. Aber keine dieſer Realitäten wirkt auf die andere, kann die andere verpflichten, außer in der freien Beſtimmung der Perſönlichkeit dieſer Frau ſelbſt. Das kann unſer Freund nicht verſtehen. Er denkt immer, es müſſe noch ein anderer Zuſammenhang beſtehen, notwendig wie die Natur in Raum und Zeit, zwiſchen dieſen Tätigkeiten —“
„Sehen Sie — dieſer Mangel der Einſicht iſt es, welcher die menſchliche Geſellſchaft beſchwert. Stets werfen ſie das Verſchiedene zuſammen als Eines, indem ſie es mit falſchen Gefühlswerten belaſten. Da iſt der religiöſe Glaube; er iſt die Form, wie die Perſönlichkeit das Weltgeſetz in ihr Gefühl aufnimmt; die Menſchen aber machen daraus ein Bekenntnis, das andre verpflichten ſoll und ſich damit aufhebt. Da iſt das Vaterland, die nationale Gemeinſchaft; ſie iſt ein Mittel, die Macht des einzelnen zuſammenzufaſſen, um für die Menſchheit zu wirken; die Menſchen umkleiden ſie mit einem Gefühl, das ſie zum Selbſtzweck macht und infolgedeſſen Feindſchaft der Nationen bewirkt. Da iſt der natürliche, berechtigte Trieb der Selbſterhaltung; die Menſchen machen daraus einen vernichtenden Egoismus, der zum Kampf der Geſellſchaftsklaſſen führt. Und ſo mit allem. Hier kann Aufklärung helfen. Natürlich nicht, um Vollendung zu ſchaffen, die es überhaupt nicht gibt, aber eine höhere Stufe der Kultur. Es wäre nicht das erſte Mal, daß Aufklärung die Menſchen befreit hat, aber da mußte ſie ſich blutig durchkämpfen. Diesmal ſoll eine überlegene Macht den Sieg von vornherein gewähren.“
„Aber wie denken Sie ſich dieſe Einwirkung? Ehe Anſchauungen und Gewohnheiten ſich ändern, müſſen Generationen vergehen — die Menſchheit ſelbſt muß ſich ändern —“
„Die Planeten haben Zeit. Aber die Hauptſache wird ſchnell geſchehen. Die Menſchen brauchten Jahrtauſende, um den gegenwärtigen Stand ihres Wiſſens zu gewinnen; unter der Leitung geſchickter Lehrer eignet ſich heute der einzelne dieſes Wiſſen in wenigen Jahren an. Wir werden die heutigen Menſchen nicht zu Numen machen, aber wir werden ſie in dieſem Sinn führen. Nur muß unſre Bevormundung ihre Freiheit nicht beſchränken, ſondern allein den richtigen Gebrauch derſelben erzielen. Das Niveau der Geſamtbildung läßt ſich binnen kurzem ſo heben, daß ſie eine klare Einſicht in das gewinnen, was im Leben möglich und erſtrebbar iſt. Sie werden erkennen, daß es eine Utopie iſt, die Gleichheit der Lebensbedingungen anzuſtreben, daß die Gleichheit nur beſteht in der Freiheit der Perſönlichkeit, mit der ein jeder ſich ſelbſt beſtimmt, und daß dieſe Freiheit gerade die Ungleichheit der Individuen in der ſozialen Gemeinſchaft vorausſetzt. Wir haben ja doch viele Jahrtauſende hindurch die ſozialen Kämpfe durchgemacht, bis wir erkannt haben, daß der Kampf ſelbſt unvermeidbar, die Gehäſſigkeit aber auszuſchließen iſt, daß in einem edlen Wettſtreit alle Stufen der Lebensführung nebeneinander beſtehen können. Nur eines iſt dazu notwendig: dem einzelnen die Zeit zu geben, ſich ſelbſt zu bilden, zu kultivieren. Die Menſchen können ſich darum nicht ſelbſt helfen, wenigſtens nicht helfen, ohne den furchtbaren Kampf von Jahrtauſenden, weil ſie die Mittel nicht haben, den Maſſen die Sicherheit der notwendigſten Lebenshaltung zu geben. Dieſe Not der Maſſen können wir abſtellen, ohne jene Utopie der Nivellierung des Vermögens. Wir können ihnen zeigen, daß das Hin- und Herſchwanken des individuellen Beſitzes ſich nicht ändern läßt und auch nicht geändert zu werden braucht, daß aber jedem, der arbeitet, ein befriedigendes, ſeinen Fähigkeiten angemeſſenes Auskommen gewährleiſtet werden kann und daß niemand Not zu leiden braucht. Denn wir können den Menſchen die Quelle des Reichtums erſchließen durch unſre Technik, und wir können erzwingen, daß die damit verbundenen Beſitzänderungen ſich in Ruhe vollziehen. Den kleinlichen Eigennutz, den Krämerſinn, die Unduldſamkeit, die Klaſſenherrſchaft bringen wir zum Verſchwinden, ſobald ein jeder klar zu durchſchauen vermag, welche Stelle im großen Zuſammenwirken der einzelnen er ausfüllt. Der tückiſche, nagende Neid entflieht aus der Welt, und Menſchenliebe hält den ſiegreichen Einzug.“
Ell war aufgeſtanden, ſeine Augen leuchteten, begeiſtert ſah er in die Zukunft, die ihm nahe herangekommen ſchien. La hatte die Hände von der Schreibmaſchine herabſinken laſſen. Sie blickte ihn an.
„Halten Sie mich nicht für einen Schwärmer“, fuhr er fort. „Nicht daß ich meinte, Leid und Schmerz aus der Menſchheit verbannen zu können. Ohne ſie ſtände das Weltgetriebe ſtill. Aber reinigen können wir dieſes Leid, veredeln zu dem heiligen Schmerz, der untrennbar iſt von der Liebe und dem Einblick in uns ſelbſt. Die fremden Schlacken können wir ausſtoßen, die aus der Not, der Roheit und der Dummheit ſtammen.“
„Sie glauben an die Menſchheit“, ſagte La. Auch ſie erhob ſich und ſtreckte ihm die Hand entgegen. „Ich begann an ihr zu zweifeln, ich will es Ihnen geſtehen. Ob ſich Ihr Traum erfüllen läßt, ich weiß es nicht, aber ich danke Ihnen, daß Sie ihn träumen, daß Sie ihn mir erzählten. Sie haben mir neuen Mut gemacht, denn ich fürchtete manchmal, daß das Zuſammentreffen mit den Menſchen beiden Teilen verderblich werden könnte.“
„Fürchten Sie das nicht, La. Die Erde iſt reich, viel reicher als der Mars. Sie empfängt von der Sonne faſt das Zehnfache der Energie wie wir. So lange die alte Sonne ſtrahlt, iſt das Leben geſichert. Was läßt ſich unter unſeren Händen aus dieſer Rieſenkraft ſchaffen! In einem Jahr wird die Erde bedeckt ſein mit Fabriken, in denen wir mit Hilfe der Sonnenenergie aus den unerſchöpflichen Quellen der Erde von Luft, Waſſer und Geſteinen Lebensmittel erzeugen und verteilen, die nahezu nichts koſten. Die äußere Not iſt mit einem Schlag auch von dem Ärmſten genommen. Die Beſitzer des Bodens können wir ohne Mühe entſchädigen. Ich rechne, daß wir für jeden Menſchen in den ziviliſierten Staaten — denn dieſe können allerdings vorläufig erſt in Betracht kommen — im Durchſchnitt vier bis ſechs Stunden gewinnen, die er nunmehr allein ſeiner geiſtigen Ausbildung widmen kann. Wir führen unſere Lehrmethoden ein. Die Menſchen ſind lernbegierig. Die unmittelbare Zuführung von Gehirnenergie wird ihnen die neue Anſtrengung zur Luſt machen. Die Wahnvorſtellungen der Tradition in allen Bevölkerungsklaſſen werden verſchwinden. Die Rüſtungen, die Kriege hören auf. Wir üben in dieſer Hinſicht zunächſt einen leichten Zwang aus, bis die beſſere Einſicht durchgedrungen, die beſſere Haltung zur Gewohnheit geworden iſt. Denn dies freilich wird notwendig ſein; der Menſch muß zu jeder großen Veränderung erſt gezwungen werden, bis er den Vorteil begreift und das Neue lieben lernt. Ich habe alles ſchon mit Ill durchgeſprochen.“
„Sie müſſen die Menſchen beſſer kennen als ich“, ſagte La. „Aber glauben Sie denn, daß das alles ſich ohne Gewalt durchführen läßt?“
„Ich hoffe es. Wenn aber nicht, ſo werden wir ſie anwenden —“
„O Ell, da ſprechen Sie als Menſch — und das iſt meine große Sorge — ihr Menſchen werdet uns vergeſſen machen, daß Gewalt ein Übel iſt, unwürdig —“
Die Klappe des Fernſprechers löſte ſich.
„Iſt La zu Hauſe?“ fragte Saltners Stimme.
„Ja, ja“, rief La. „Kommen Sie nur. Sie haben ſich den ganzen Tag noch nicht ſehen laſſen.“
„Ich komme ſogleich.“