Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 14. Zwiſchen Erde und Mars Jo tat einen Zug aus ſeinem Mundſtück und fuhr dann in ſeiner Erzählung fort. „Was war nun zu tun? Nach kurzer Ruhepauſe verſammelte uns der erſte Steuermann, Mitt hieß er, der ſpäter die berühmte Umſchiffung des Jupiter ausführte, zu einer Beratung. Sollten wir verſuchen, noch einmal die Erdachſe zu gewinnen und nach dem Pol zurückzukehren? Sollten wir die Unſeren ihrem Schickſal überlaſſen und die Heimreiſe nach dem Mars antreten? Wir hatten den vierten Teil unſerer Mannſchaft und den Kapitän verloren. Es war natürlich, daß wir zu ihnen zurückwollten. Aber es war auch nicht leicht. Eine nochmalige Landung und eine zweite Abfahrt von der Erde verlangten einen ſolchen Aufwand von Energie und vor allem von Richtſchüſſen, daß die Gefahr vorlag, dadurch unſre Rückkehr nach dem Mars überhaupt in Frage zu ſtellen. Trotzdem wurde beſchloſſen umzukehren, nachdem Mitt eine Berechnung gemacht und gefunden hatte, daß wir unter günſtigen Umſtänden gerade auskommen könnten. Wären wir nämlich nach dem Mars gegangen und wäre von dort ſofort ein neu ausgerüſtetes Schiff nach der Erde geſchickt worden, ſo hätte doch erſt im nächſten Frühjahr den Zurückgebliebenen Hilfe gebracht werden können. Daß ſie aber den Polarwinter auf der Erde nicht überſtehen konnten, war gewiß. Alle dieſe Überlegungen, insbeſondere die genauere Berechnung und ihre wiederholte Prüfung, hatten längere Zeit in Anſpruch genommen. Seitdem wir die Atmoſphäre der Erde verlaſſen und in der Richtung der Tangente der Erdbahn uns bewegten, mochten etwa ſechs Stunden vergangen ſein. Obwohl wir in dieſer Zeit einen Weg von über 600.000 Kilometern zurückgelegt hatten, waren wir doch von der Erde ſelbſt, die ja in gleicher Richtung auf ihrer Bahn hinlief, noch kaum 1.500 Kilometer entfernt. Wenn wir uns jetzt volle Schwere gaben, konnten wir ſie in kurzer Zeit wieder erreichen, und es kam darauf an, uns durch einen mäßigen Korrekturſchuß eine ſolche ſeitliche Geſchwindigkeit zu erteilen, daß wir nach dem Pol gelangten. Die äußere Kugelhülle unſeres Schiffes, in welcher ſich die innere Kugel faſt ohne Reibung nach jeder Richtung drehen kann, hatte natürlich durch die Abenteuer, die wir bei der Abfahrt und in der Atmoſphäre erlebten, eine ſtarke Rotation erhalten. Wir hatten bereits zu unſerm großen Mißbehagen bemerkt, daß der Apparat nicht richtig funktionierte, welcher die innere Kugel in ihrer Gleichgewichtslage zu halten hatte, indem wir fortwährend Schwankungen durch die äußere Kugel erlitten. Bis jetzt war jedoch noch keine Zeit geweſen, dem Übelſtand abzuhelfen. Nun aber kam es darauf an, die Rotation der äußeren Kugel ſowohl wie die Schwankungen der inneren vollſtändig zu hemmen. Es war dies einerſeits wünſchenswert, um eine genaue Aufnahme unſerer Lage zu machen, obwohl dieſer Zweck allenfalls auch durch Momentphotographie erreicht werden kann; andererſeits war es durchaus notwendig für die genaue Abgabe des Richtſchuſſes, der durch das Ventil an der Außenſeite der äußeren Kugel gelöſt wird. Denn wenn dieſer auch nur um geringe Differenzen fehlerhaft wird, ſo können daraus Abirrungen vom Weg entſtehen, die nur ſchwer wieder zu korrigieren ſind, für uns aber, die wir keine Kraft zu verſchwenden hatten, verhängnisvoll werden konnten. Als wir nun das Schiff einer genauen Beſichtigung unterwarfen, ſtellte ſich zu unſerm nicht geringen Schrecken heraus, daß der Winddruck während der Verankerung und das Aufſchlagen des Schiffes Formveränderungen der äußeren Kugel bewirkt hatten, die eine umſtändliche Reparatur erforderten. Bevor dieſe nicht fertiggeſtellt war, durften wir keine Schwere geben und überhaupt kein Manöver ausführen. Und dieſe Reparatur nahm leider, das war zu ſehen, einige Tage in Anſpruch. Während dieſer Zeit mußten wir auf unſrer gradlinigen Bahn verharren, die uns auf Strecken von der Erde entfernte, welche dem Quadrat der Zeit proportional waren. Aber es war auf dieſer Reiſe, als wenn uns nichts gelingen ſollte. Ein neuer Mißſtand trat auf. Der Mond der Erde näherte ſich der Stellung, in welcher die Erde Vollmond hat. Unglücklicherweiſe entfernten wir uns alſo von der Erde gerade in der Richtung auf den Mond zu. Dies wäre ja für uns ziemlich gleichgültig geweſen, wenn wir in der Nähe der Erde, wenigſtens am erſten Tag unſrer Fahrt, unſere Umkehr hätten bewerkſtelligen können. Nach Ablauf des dritten Tages aber mußten wir, ſobald wir uns der Gravitation unterwarfen, in den Anziehungsbereich des Mondes ſtatt in denjenigen der Erde geraten. Konnten wir alſo unſere Reparatur nicht vorher beendigen, ſo hatten wir nur die Wahl, unſere Richtſchüſſe auf gut Glück bloß zur Verringerung unſrer Geſchwindigkeit zu verſchwenden oder uns in ſo weite Entfernung von der Erde hinaustragen zu laſſen, daß ſich unſere Rückkehr auf lange verzögern mußte. Und wer weiß, ob wir dann unſere Gefährten noch lebend angetroffen hätten? Wir arbeiteten alſo in fieberhafter Eile an der Herſtellung des Schiffes, um möglichſt bald einen ſichern Richtſchuß abgeben zu können. Und wirklich, im Verlauf des dritten Tages war es gelungen, die Kugeln zeigten keine merkliche Drehung mehr. Es war die höchſte Zeit; noch wenige Stunden, und wir hätten den Einfluß des Mondes bekämpfen müſſen. Jetzt konnten wir es noch wagen, uns ſchwerzumachen und der Anziehung der Erde nur durch einen ſchwachen Korrekturſchuß nachzuhelfen. Die Diabarität wurde aufgehoben. Mit höchſter Spannung warteten wir die nächſte Beobachtung ab. War in der früheren Berechnung irgendein kleiner Fehler vorgekommen, ſo konnte es ſein, daß wir nach dem Mond ſtatt nach der Erde fielen. Noch ſtand er über uns, mit ſeiner glänzenden Scheibe einen beträchtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn ſein Durchmeſſer erſchien 26mal ſo groß wie hier von der Erde aus. Deutlich unterſchieden wir jede Einzelheit an ſeiner Oberfläche. Die rieſigen Ringgebirge lagen wie zum Greifen vor uns. Die langgeſtreckten Lavafelder, durch die tiefſchwarzen Schatten breiter Riſſe unterbrochen, glänzten blendend im Sonnenlicht. Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond, ſchwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer des Mondlichts erleuchtet; nur eine ſchmale Sichel zeigte ſich im Strahl der Sonne. Wenn wir uns von der Sonne, die nahe neben der Erde ſtand, abwendeten, glänzten überall am tiefſchwarzen Firmament die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher Anblick, aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten nur, ob unſere Kugel beginnen würde, ſich zu drehen, das heißt, den Boden unter unſern Füßen dem Mond zuzuwenden; dies wäre das Zeichen geweſen, daß wir dem Mond und nicht mehr der Erde tributär waren. Noch näherten wir uns dem Mond, da er noch immer ein wenig vor uns in unſerer Richtung ſtand. Noch überwog die Anziehung der Erde, doch war ſie von der des Mondes ſo geſchwächt, daß wir kaum einen Zug nach dem Boden bemerkten; wir mußten uns verhalten wie im ſchwereloſen Feld. Die Sorge um unſere Gefährten ließ es uns jeden Augenblick erſcheinen, als begönnen die Gegenſtände ſich zu erheben, als wollte unſre innere Kugel ſich drehen. Aber noch immer ſchwebte der Mond über uns. Endlich hatte Mitt ſeine Beobachtung beendet. ‚Wir kommen durch‘, ſagte er. ‚Wir ſinken.‘ Alle atmeten auf. Noch eine Viertelſtunde, und die Erdſchwere machte ſich wieder geltend. Die Inſtrumente ließen deutlich erkennen, daß wir uns der Erde wieder zu nähern begannen. Nun kam es darauf an, den paſſenden Richtſchuß zur Korrektur unſres Falls abzugeben. Wir hätten zwar damit warten können, bis wir der Erde näher waren. Aber je eher wir es taten, um ſo weniger Energie brauchten wir aufzuwenden. Denn wenn erſt unſre Fallgeſchwindigkeit größer geworden war, ſo mußte die Kraft auch um ſo ſtärker ſein, welche unſre Richtung zu verändern vermochte. Mit größter Sorgfalt wurde die Bombe gewählt, die äußere Kugel in die berechnete Stellung gebracht und die Entladung durch Verbindung mit dem Chronometer im richtigen Moment bewirkt. Die Reaktion war ſchwach, und wir ſchwankten nur wenig auf unſern Plätzen. In wenigen Minuten war alles vollbracht, was wir vorläufig tun konnten. Todmüde ſuchten wir unſere Lagerſtätten auf, denn Ruhe hatte es bis jetzt für uns nicht gegeben. Ich hatte einige Stunden feſt geſchlafen, als ich durch ein allgemeines Stimmengewirr aufgeweckt wurde. Ich eilte in den Außenraum, und das erſte, was mir in die Augen fiel, war der veränderte Anblick des Mondes. Er war kleiner geworden, wir entfernten uns alſo von ihm; das beruhigte mich. Aber ſeine erleuchtete Fläche zeigte eine Abplattung, das heißt, wir ſahen auf ein Stück der nicht erleuchteten Mondkugel, das meiner Anſicht nach größer war, als es hätte ſein dürfen, wenn wir nach der Erde zu fielen. Schnell begab ich mich nach der unteren Seite, und hier ſah ich, daß auch die Erde entſchieden an Größe abgenommen hatte. Wir entfernten uns alſo von beiden Himmelskörpern, und zwar, wie ſich ſogleich herausſtellte, in einer nahezu kreisförmigen Ellipſe, deren Ebene mit der der Erdbahn faſt einen rechten Winkel bildete. Wie dies geſchehen konnte, iſt bis heute unaufgeklärt geblieben. Daß es nicht eher bemerkt wurde, daran trug der Mann ſchuld, welcher die Wache hatte und aus Übermüdung eingeſchlafen war. Sonſt hätte er ſehr bald am Richtungszeiger den Fehler bemerken müſſen, und dann hätte noch ein Korrekturſchuß angebracht werden können. Jetzt aber war unſere Entfernung von der Erde bereits ſo groß geworden, daß wir unſere Richtung faſt hätten umkehren müſſen, um die Erde wieder zu erreichen. Das durften wir bei unſerm geringen Vorrat an ſtarken Richtſchüſſen nicht tun. Einige von Ihnen wiſſen vielleicht, daß Mitt nach unſrer Rückkehr auf den Mars ſeines Fehlers wegen zur Verantwortung gezogen wurde. Es konnte ihm aber kein Verſehen nachgewieſen werden, und er wurde freigeſprochen. Die Rechnungen wurden ſämtlich aufs genauſte geprüft, und es blieben nur zwei Erklärungen übrig. Es war möglich, daß nach dem Verlaſſen der Erdatmoſphäre wegen der mangelhaften Beſchaffenheit unſres Schiffes die erſte Ortsbeſtimmung fehlerhaft geweſen iſt und dieſer Fehler auf die Beurteilung unſrer Richtung oder Geſchwindigkeit nachgewirkt hat. Infolgedeſſen wäre der Korrekturſchuß unrichtig abgegeben worden. Es konnte aber auch die Beobachtung als richtig vorausgeſetzt und der Rechnung durch die Hypotheſe genügt werden, daß wir, ohne es zu wiſſen, während des Schlafs der Wache durch einen unbekannten kosmiſchen Körper abgelenkt worden ſind, den wir, obgleich er ziemlich groß geweſen ſein muß, nachträglich nicht bemerkten, weil er bereits in den Erdſchatten getreten war. Nun, wie dem auch ſein mochte, wir konnten nicht mehr zur Erde zurück. Unſre Niedergeſchlagenheit können Sie ſich denken. Sie wurde noch größer, als wir erkannten, wie es mit unſrer Rückkehr zum Mars beſchaffen ſei. Gingen wir in unſrer Bahn weiter, ſo kamen wir nach einem halben Erdenjahr wieder der Erde ſo nahe, daß wir ſie hätten erreichen können. Aber dann hatte der Südpol Winter, und wir wären dort verloren geweſen. Der gewöhnliche Weg nach dem Mars war uns zum Unglück durch einen großen Kometen verſperrt, deſſen Anziehungsbereich wir berückſichtigen mußten. Ein zweiter Weg — Sie müſſen bedenken, daß wir unſre Richtung und Geſchwindigkeit nicht ſo oft und beliebig ändern konnten wie heutzutage —, ein zweiter Weg hätte uns bis in die Nähe der Aſteroidenbahnen geführt, und das iſt ſo, als wenn Sie auf dem Meer zwiſchen unbekannten Klippen ſegeln wollten. Denn wenn wir auch damals ſchon gegen 2.000 dieſer kleinen Planeten kannten, ſo gibt es doch noch unzählige, die ſo klein ſind, daß wir ſie noch nie geſehen haben, kleiner als unſre Kugel, aber genügend, um uns in Grund und Boden zu bohren, wenn wir auf einen treffen. Außerdem hätte auch dieſer Weg ſo lange Zeit in Anſpruch genommen, daß es fraglich wurde, ob unſer Proviant dazu ausreichte. Alle übrigen Wege waren noch weiter und mußten deshalb verworfen werden. Der Mars ſtand, wie ich bemerken will, hinter der Sonne, denn ſeit unſrer Abreiſe von ihm war ein halbes Erdenjahr vergangen. Mitt hatte uns das Reſultat ſeiner Berechnungen mitgeteilt und ſich dann zu neuen Prüfungen in ſeine Kajüte zurückgezogen. Wir ſaßen in uns gekehrt da, jeder machte ſich mit dem Gedanken vertraut, unſren lieben Nu nicht wieder zu betreten. Einer der Gefährten äußerte ſich endlich dahin, man ſolle die jetzige Bahn einhalten, nach einem halben Jahr die Erde zu treffen ſuchen, dieſe aber am Nordpol anlaufen. Da alsdann dort Sommer wäre ſo würden wir wahrſcheinlich eins unſrer Schiffe antreffen, von dem wir genügende Vorräte bekommen könnten, um im nächſten Südſommer nach dem Südpol zurückzukehren. Die Hoffnung freilich, unſre Gefährten noch zu retten, mußten wir wohl aufgeben, immerhin aber konnten wir auf dieſe Weiſe unſre Rückkehr nach dem Mars ſichern, ſelbſt für den Fall, daß wir kein Schiff daſelbſt antrafen. Wir konnten ja dann die günſtigſte Stellung zur Reiſe abwarten und fanden auf alle Fälle einige Vorräte in den Depots. Dieſer Plan fand allſeitigen Beifall, und wir ſchickten uns eben an, den Kapitän zu rufen, um ihm unſre Vorſchläge zu machen, als dieſer mit glänzenden Augen unter uns trat und rief: ‚Freunde, wollen wir in ſechzig Tagen auf dem Mars ſein?‘ Wir ſprangen auf und umringten ihn. Alle wollten wir näheres hören. Nun —“ Jo unterbrach ſich und warf einen Blick auf die Uhr. „Pik und Spe!“ rief er. „iſt das ſchon ſpät geworden! Nun, ich will ſchnell ein Ende machen!“ „O bitte, bitte, es iſt noch Zeit.“ „Kurz und gut! Mitt hatte den kühnen Plan erdacht, in einer rückläufigen Hyperbel mit kurzer Periheldiſtanz quer über die Erdbahn weg auf den Mars zu ſtoßen. Er ſetzte uns das kurz auseinander. Allerdings mußten wir unſre Richtſchüſſe bis auf einen letzten, zum Landen beſtimmten Notvorrat daran wagen. Nur eine Gefahr war dabei, und deshalb wollte Mitt nicht ohne unſere Einwilligung handeln — wir kamen der Sonne in einer Weiſe nahe, wie es noch kein Raumſchiffer gewagt hatte, und es fragte ſich, ob wir die Strahlung würden aushalten können. Auch der Plan, auf der Erde am Nordpol anzulegen, ſchien Mitt ſehr erwägenswert, und lange wurde hin und her überlegt, was zu tun ſei. Aber Sie wiſſen ja, in jedem rechten Raumſchifferherzen ſteckt die Luſt, das Ungewohnte zu wagen, wenn es einigermaßen ausſichtsvoll iſt. Den Gefährten konnten wir in dieſem Südpol-Sommer doch nicht mehr helfen, und ſo wurde beſchloſſen, die kühne Hyperbelfahrt zu verſuchen. Nun, Gott war gnädig, wir ſind heimgekommen. Aber die zwei Tage, die wir um die Sonnennähe jagten, die möchte ich nicht wieder erleben. Ich habe manches durchgemacht — ſolche Glut noch nicht. Wir konnten unſre äußere Stellitkugel nur dadurch vor dem Schmelzen bewahren, daß wir ſie ſchnell rotieren ließen; ſo ſtrahlte ſie die auf der einen Seite empfangene Hitze auf der andern wieder aus — weiß nicht, bekomme ſogleich einen wahren Merkursdurſt, wenn ich daran denke!“ Damit tat Jo einen tiefen Zug aus ſeinem Mundſtück und erhob ſich. „Schade, ſchade, daß Sie morgen ſchon fortgehen!“ ſagte La zu Jo. „Von der Sonnennähe müſſen Sie uns noch einmal erzählen!“ „Wenn’s einmal recht kalt iſt!“ „Und All? Hat man nichts mehr von ihm gehört?“ fragte Grunthe. „Nichts! Auch bei wiederholten Beſuchen des Südpols hat man keine Spuren mehr gefunden, keine Aufzeichnungen. Und nun, Gott befohlen! Auf Wiederſehen morgen vormittags!“ Jo ſchüttelte den Deutſchen die Hände, und alle Martier wiederholten die Begrüßung. Dann zogen ſie ſich zurück. Nur La und Se blieben noch einige Minuten und redeten ihren Gäſten zu, ihre Reiſe nicht im Winter zu wagen, ſondern mit ihnen nach dem Mars zu gehen. „Laſſen Sie ſich durch Jos Erzählung nicht bange machen“, ſagte La lächelnd. „Wir nehmen jetzt ſoviel Richtſchüſſe mit, daß wir allen Hinderniſſen ſchleunigſt ausweichen können. Die Gefahr lag ja früher darin, daß man auf der Erdoberfläche landen und von dort abreiſen mußte; jetzt aber haben wir auf beiden Planeten Stationen außerhalb der Atmoſphäre.“ „Solche Beſorgniſſe würden uns nicht abhalten“, ſagte Grunthe ernſt. „Wir hoffen ja ſpäter mit der Hilfe Ihrer Landsleute auf den Mars zu reiſen.“ „Und was hält Sie denn ab, ſchon jetzt mit uns zu kommen?“ fragte Se. „Die Pflicht“, erwiderte Grunthe. La und Se ſchwiegen einen Augenblick. Dann ſagte Se mit einem Blick auf Saltner: „Es gibt auch eine Pflicht gegen die Freunde.“ „Die Pflicht der Dankbarkeit gegen unſre Retter wird mir ſtets heilig bleiben“, ſagte Grunthe, „aber im Falle des Widerſtreits entſcheidet die ältere —“ „Oder die höhere“, fiel La ein, „und das werden wir ſchon noch unterſuchen.“ „Das wiſſen Sie ja“, ſagte Saltner herzlich, „daß ich nichts lieber täte, als mit Ihnen zu gehen, wohin’s auch immer wäre.“ „Mit wem denn?“ ſcherzte La. „Wir wohnen leider auf dem Mars dreitauſend Kilometer voneinander.“ „Das iſt nicht ſo ſchlimm“, erwiderte Saltner. „Sie haben dort gewiß ſo ſchnelle Beförderungsmittel, daß man einen Tag hier und einen da ſein kann. Und das hat auch ſeine guten Seiten.“ „Das iſt reizend“, rief Se. „Sie paſſen ausgezeichnet auf den Mars. Wenn wir Sie nun beim Wort nehmen?“ Se und La warfen ſich einen Blick des Einverſtändniſſes zu. Dann faßten ſie jede einen ſeiner Finger und ſagten gleichzeitig: „Gebunden.“ Saltner machte ein etwas verdutztes Geſicht, da er nicht recht wußte, was das bedeuten ſollte. „Wieſo?“ fragte er. „Was ſoll das ſein?“ „Ein Spiel!“ rief La, und beide ſahen ihn ſo ſonderbar und freundlich an, daß ihm ganz ſeltſam ums Herz wurde. „Gehen’s“, ſagte er etwas verlegen, „Sie wollen mich gewiß zum beſten haben. Was muß ich denn jetzt tun?“ „Das wird ſich ſchon finden. Recht liebenswürdig ſein müſſen Sie!“ ſagte Se. „Und jetzt gute Nacht! Sie müſſen morgen zeitig aufſtehen, eigentlich ſchon heute, der Flugwagen nach der Außenſtation geht um ein Uhr.“ „Auf Wiederſehen morgen am abariſchen Feld!“ rief La. Und beide nickten ihm freundlich zu, grüßten Grunthe und ſchwebten mit ihrem leichten, gleitenden Schritt nach der Tür. Die Wolke glühender Funken wogte um Se, und über den ſchlanken Formen ihres Halſes ſchimmerte der zarte Regenbogen ihres Haars. Über Las Haupt glänzte es wie ein Heiligenſchein, und aus ihren tiefen Augen fiel ein langer Blick auf Saltner zurück. Dann ſchloß ſich die Tür. Die Feen der Inſel waren verſchwunden. Saltner ſtand noch lange ſtumm und blickte nach der geſchloſſenen Tür. Was meinten ſie wohl? Wie ſollte er ſie verſtehen? Und welche von beiden — — Dann drehte er ſich auf dem Abſatz herum und pfiff leiſe vor ſich hin. „Das iſt geſcheit“, ſagte er, „die ſcheinen halt nicht eiferſüchtig. Aber — am Ende iſt das gar nicht ſehr ſchmeichelhaft für mich. Wer kann ſich auch gleich bei den Feen auskennen? Kommen Sie, Grunthe, wir wollen ſoupieren.“ Die beiden Männer zogen ſich in ihr Zimmer zurück, aßen zu Abend und ſprachen dabei hin und her über die Frage, ob ſie imſtande ſein würden, dem Wunſch der Martier zu widerſtehen und am Pol zurückzubleiben. „Ich ging ſchon gern hin“, ſagte Saltner endlich, „aber von Ihnen geh ich nicht, alter Freund. Und nun ſehen Sie zu, was Sie durchſetzen.“ 15. 6.356 Kilometer über dem Nordpol