Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 13. Das Abenteuer am Südpol Grunthe und Saltner hatten ſich inzwiſchen mit den übrigen Martiern unterhalten. Diesmal waren ſie recht gründlich nach allerlei Einrichtungen der Menſchen ausgefragt worden. Grunthe beſchrieb ihnen auf der Karte die Wohnplätze der verſchiedenen Raſſen und die Abgrenzungen der bedeutendſten Staaten. Sie waren ſehr erſtaunt zu hören, daß es große Gebiete der Erde gäbe, die man noch gar nicht oder ſehr wenig kenne, und daß ihre Einwohner keinerlei Einfluß auf die Geſchicke der ganzen Menſchheit ausübten. Bei den Martiern beſtehe zwar auch ein ſehr großer Unterſchied zwiſchen der Bildung der einzelnen Bewohner und Volksſtämme, aber gänzlich unziviliſierte Landſchaften gäbe es überhaupt nicht. Grunthe fragte nach der Anzahl der Marsbewohner und erfuhr zu ſeiner Überraſchung, daß ſie nicht weniger als dreitauſendeinhundert Millionen betrüge, alſo das doppelte der Zahl der Menſchen, auf einer viermal ſo kleinen Oberfläche zuſammengedrängt wie die der Erde. „Da können wir Ihnen einen Teil von uns überlaſſen“, ſagte einer der Martier ſcherzend. „Es würde Ihnen auf der Erde zu ſchwer werden“, erwiderte Saltner, dem der Gedanke eines Einfalls der Martier auf die Erde recht bedenklich erſchien. „Lieber kommen wir ein wenig zu Ihnen.“ „Aber erſt lernen Sie ordentlich balancieren“, ertönte eine Stimme aus der Luft. „Ich werde gleich einmal nachſehen.“ Es war Ses Stimme. Sie hatte die Klappe des Fernſprechers geöffnet und gerade Saltners Worte verſtanden. Gleich darauf erſchien ſie an der Tür. Um ſeine Geſchicklichkeit zu erweiſen, überſchritt Saltner den ‚Strich‘ und ging ihr vorſichtig entgegen. Sie lachte herzlich und rief, ihm die Hand entgegenſtreckend: „Es geht ſchon ganz gut, Sie haben Fortſchritte gemacht.“ Saltner ergriff die Hand und bückte ſich, um ſie an ſeine Lippen zu führen. Dieſe Verbeugung ging auch ganz gut vonſtatten, aber als er ſich aufrichten wollte, geſchah es zu plötzlich, und er lief Gefahr, nach hinten zu ſtürzen. Da er ſich über ſich ſelbſt luſtig machte, ſo zeigten auch die Martier ihre Heiterkeit über ſeine vorſichtigen Bewegungen und baten ihn dann, ihnen doch einige ſeiner Kraftproben zu zeigen, von denen ſie gehört hatten. Eben hatte er zwei der Martier mit Leichtigkeit in die Luft gehoben, als ſich La nach ihm umdrehte. „Was wollen Sie über dem ‚Strich‘?“ ſagte ſie ſcherzhaft drohend. Saltner ſprang ſchleunigſt einen Schritt zurück, hatte aber die beiden Herren vom Mars noch nicht niedergeſetzt, und in dem Augenblick, als er den ‚Strich‘ paſſierte, wurden ſie ihm zu ſchwer, ſo daß ſie ziemlich unſanft zur Erde kamen. Während er ſich entſchuldigte, rief La: „Alle an den Tiſch! Jo erzählt von ſeiner erſten Erdfahrt, bitte, bitte!“ Dem allgemeinen Drängen konnte Jo nicht widerſtehen. Auch auf dem Mars ſpinnt ein alter Seemann gern ein Garn. Er ſetzte ſich oben an den Tiſch. Se und La ſaßen dicht am ‚Strich‘ neben den beiden Deutſchen. Jo nahm bedächtig ein Pik, legte es an die Stirn, an das rechte und an das linke Auge, und ſah ſich dann noch einmal im Zimmer um. Se verſtand ihn. „Unter dem Tiſchrand“, ſagte ſie. „Greifen die Herren nur zu.“ Schmunzelnd zog Jo ein Mundſtück hervor und probierte das Getränk. „Ein feiner Tropfen“, ſagte er. Ein Teil der Martier und auch Saltner folgten ſeinem Beiſpiel. La lehnte ſich bequem zurück, Se nahm ihre chemiſche Handarbeit auf, und Grunthe zog ſein Notizbuch hervor, um ſich einige ſtenographiſche Aufzeichnungen zu machen. „War damals ſiebzehn Jahr alt“, begann Jo ſeine Erzählung. „Marsjahre“, ſagte La leiſe zur Erklärung. „— hatte eben meinen techniſchen Kurſus abſolviert, als ich mich beim Kapitän All meldete, der mit der ‚Ba‘, vierundzwanzig Perſonen, nach der Erde abgehen ſollte. Wollte mich eigentlich nicht mitnehmen, weil ich noch zu jung ſei, aber da im letzten Augenblick einer von der Mannſchaft verhindert wurde und kein andrer ſich gemeldet hatte, ſo kam ich mit. Fünf Monate waren wir unterwegs und hatten glücklich ſo manövriert, daß wir der Erde parallel flogen, genau in der Achſe über dem Südpol. Sie hatten Sommer dort unten, aber um den Pol herum war alles von dichten Wolken bedeckt. Wir ſahen auf der Erde nur ihre weiße, von der Sonne beglänzte Wolkenoberfläche, und wo ſie im Schatten verſchwand, ſpielten die Südlichter in rötlichen Streifen. Wir ließen uns ſinken und machten uns, als wir tief genug gekommen waren, ſo leicht, daß wir als Luftballon in der Atmoſphäre ſchwammen. Dann ging es durch die Wolken hinab, und wir kamen auch glücklich, leider aber mit einer Abweichung von ein paar Kilometern, auf den Pol. Nun, Sie wiſſen, auf dem Südpol iſt’s nicht ſo ſchön wie hier, ’s iſt ringsum Feſtland-Eis, eine Hochfläche von ein paar tauſend Metern, wie Sie’s hier nebenan haben — in — wie heißt das Ding?“ „Grönland.“ „Gut. Nun mußten wir aber das Schiff nach dem Pol ſchaffen, denn wir hatten das ſchwere Schwungrad für die Station, die wir vorbereiten ſollten, auszuladen. Deshalb war All ſehr ungehalten, daß er von der Erdachſe abgekommen war. Aber dieſelbe Urſache, die uns abgetrieben hatte, verhinderte uns, auch jetzt ans Ziel zu gelangen. Das war der herrſchende Wind. Ich ſagte ſchon, daß wir uns in der Atmoſphäre nicht anders wie einer ihrer Luftballons verhalten können. Wir können uns leichter machen als die Luft, aber ihren Strömungen unterliegen wir dabei ebenſo wie ihrem Widerſtand.“ „Verzeihen Sie“, begann Grunthe, „ich habe mich ſchon immer gewundert, gerade weil ſich Ihr Raumſchiff in der Atmoſphäre wie ein Luftballon handhaben läßt, und zwar mit dem wunderbaren Vorteil, weder Ballaſt noch Gas opfern zu müſſen, da Sie ſich nach Belieben leicht oder ſchwer machen können, ich habe mich gewundert, daß Sie nicht, nachdem Sie einmal am Pol die Erdgeſchwindigkeit gewonnen haben, einfach mit Ihren Raumſchiffen nach Europa oder den Vereinigten Staaten von Nordamerika gekommen ſind — kurzum, warum Sie ſo ängſtlich in der Befahrung unſres Luftmeers ſind.“ „Und ich“, erwiderte Jo, „habe mich allerdings auch gewundert, wie Sie ſich dieſen gebrechlichen Dingern in einer Atmoſphäre anvertrauen können, die ſo dicht und ſchwer iſt wie die Ihrige, und in welcher nach allen Richtungen die tollſten Stürme einherraſen.“ „Ich habe“, bemerkte La, „in einem der Bücher geleſen, die Sie mitgebracht haben, von den Entdeckungsreiſen der Menſchen auf der Erde. Da ſpricht ein Seefahrer ſeine Verwunderung darüber aus, daß die Eingeborenen in irgendeiner Inſelgruppe in ihren gebrechlichen Kähnen weite Fahrten unternehmen, an die er ſich in ſeinem großen Dampfſchiff nicht wagen würde, weil er die Gefahren der Tiefe nicht zu vermeiden weiß. Ähnlich mag es ſich wohl mit unſern Raumſchiffen und Ihren Luftballons verhalten. Bedenken Sie, daß wir Ihre Atmoſphäre noch ſehr wenig kennen —“ „Und vor allen Dingen“, fuhr Jo fort, „daß unſre Raumſchiffe, die aus Stellit beſtehen, nicht darauf eingerichtet ſind, den großen Druck Ihrer Luft und den Widerſtand, wenn wir nicht mit dem Wind fliegen, zu ertragen. Das Stellit iſt ſehr feſt in der Kälte des Weltraums, aber in der Wärme und Feuchtigkeit der Luft wird es ſchnell angegriffen. Außerdem ſind wir luftdicht durch unſre Kugel von außen abgeſchloſſen und können uns darum außerhalb derſelben an nichts wagen. Die Technik unſerer Luftſchiffahrt auf dem Mars läßt ſich auf der Erde aus verſchiedenen Gründen nicht anwenden. Sie dürfen ſich alſo nicht wundern, daß es uns bis jetzt noch nicht eingefallen iſt, unſre Raumſchiffe an unbekannte Gefahren zu wagen, durch die uns möglicherweiſe die Rückkehr abgeſchnitten worden wäre. Doch ſind bereits Verſuche geglückt, diabariſche Fahrzeuge mit Öffnungen herzuſtellen, und das, was uns noch fehlt, iſt eigentlich nur ein genügend widerſtandsfähiger Stoff für dieſelben. Aber auch hier ſteht die Abhilfe bevor, und dann fahren wir zu Ihnen.“ „Wenn Sie zu uns kommen“, ſagte La lächelnd zu Grunthe, „werde ich Ihnen mit Se eine Privatvorleſung über Raum- und Lufttechnik halten.“ „Dann fürchte ich leider, darauf verzichten zu müſſen, denn ich gedenke vorläufig hierzubleiben.“ „So werde ich Ihnen einen ausführlichen, ſchönen, gelehrten Brief ſchreiben, verlaſſen Sie ſich darauf!“ Grunthe verbeugte ſich mit zuſammengepreßten Lippen, und Jo fuhr fort: „Nun kurzum, wir hatten keine Wahl, wir mußten jetzt mit dem Raumſchiff nach dem Pol. Da nun aber das Wetter nicht beſſer wurde — das heißt, der Himmel war klar, aber die Luft blies vom Pol her —, ſo beſchloß All, den Verſuch zu wagen, uns nach dem Pol hinzuwinden. Wir hatten große Mengen von mit Lis durchzogenen Tauen mit. Dieſes Tau legten wir vom Schiff bis zum Pol aus, verankerten es dort gründlich und ſetzten mit der Winde an. Das Schiff wurde nur ſoweit leicht gemacht, daß es ſich gerade hob, ohne Gefahr, auf dem Eis aufzulaufen. Denn es zu ſchleifen durften wir nicht wagen, darauf iſt unſere Stellitkugel nicht eingerichtet. Die Arbeit ging natürlich langſam vorwärts, aber wir waren in vierundzwanzig Stunden doch einen Kilometer vorgerückt. Leider friſchte der Wind immer ſtärker auf und wurde böig. Bei den Stößen bog ſich die Kugel bedenklich an der Haftſtelle des Seiles, und All hielt es für nötig, die ganze Kugel in ein Netz zu faſſen. Es war eine furchtbare Arbeit, in dieſer Luft und Schwere die Seile über die fünfzehn Meter hohe Kugel zu ſpannen, und daß keiner von uns dabei verunglückt iſt, bleibt mir heute noch ein Rätſel. Todmüde ging es am dritten Tag wieder an die Winde. Eine Maſchine hatten wir leider nicht mit, wir mußten mit unſern eignen Kräften arbeiten. Am fünften Tag waren wir bis auf einen Kilometer heran. Wir arbeiteten immer vier Mann und wurden alle Stunden abgelöſt. Lieber machten wir den Weg hin und her zum Schiff, als daß wir uns ohne Erholung dem Druck der Schwere länger ausgeſetzt hätten. Zur Rückfahrt benutzten wir übrigens einen Segelſchlitten; das war unſre größte Freude, ſo der Ruhe mit Bequemlichkeit entgegenzufahren. Eben hatte ich mich mit meinen Kameraden aufgeſetzt, und in zwei Minuten waren wir bis auf die Hälfte des Weges zum Schiff herangekommen, das nicht höher als etwa zehn Meter über dem Eis ſchwebte. Die Strickleiter hing aus der Luke bis zum Boden herab, und in weiteren zwei Minuten hofften wir in unſren Hängematten zu liegen. Plötzlich ſehen wir von der Seite und halb nach vorn hin etwas Gelblich-Weißes herantrotten, zwei große vierfüßige Tiere, wie wir ſie noch nie geſehen hatten. Es waren, was Sie Eisbären nennen, aber damals wußten wir noch nicht, was das heißen will, wenn man ihnen waffenlos begegnet. Waffen hatten wir überhaupt nicht mit, nur die langen, mit Eiſenſpitzen verſehenen Stangen, mit denen wir unſern Schlitten dirigierten und ihm nachhalfen. Noch niemals war uns auf dieſer öden Erdfläche, außer einigen Vögeln, irgendein Tier begegnet. Von Raubtieren, die dem Numen gefährlich ſind, wußten wir überhaupt nichts als aus den alten Überlieferungen der Vorzeit, da es ſolche auf dem Mars noch gegeben haben ſoll. Aber als dieſe Beſtien, ſobald ſie uns erblickten, mit gierigen Augen auf unſern Schlitten zutrabten, dachten wir uns doch, daß die Sache nicht geheuer ſei. Wir konnten freilich nichts tun, als mit unſern Picken die Fahrt unſres Schlittens beſchleunigen, wobei wir dem Wind das Beſte überlaſſen mußten. Ließ der Wind einen Augenblick nach, ſo mußten uns die Bären den Weg abſchneiden. Es war eine fatale Situation, doch ſahen wir dieſelbe nicht als beſonders bedenklich an, da wir glaubten, ihnen mit unſern Stöcken gewachſen zu ſein. Wir waren jetzt nur noch hundert Meter von der Strickleiter entfernt, und man war bereits vom Schiff aus auf uns aufmerkſam geworden. All ſelbſt und zwei Mann, mehr hatten an der Luke nicht Platz, ſtanden mit Gewehren bereit, denn damit war die Expedition für alle Fälle verſehen. Sie wagten aber nicht zu ſchießen, weil das Schiff an dem langen Tau ſtark hin- und herſchwankte und die Bären jetzt ſo dicht an dem Schlitten waren, daß wir ſelbſt hätten getroffen werden können; ein ſicheres Zielen war ja nicht möglich. Zudem hatten wir auch noch keine Erfahrung, wie Luftwiderſtand und Schwere auf der Erde unſere Geſchoſſe ablenken. Das Telelyt war damals noch nicht für Handwaffen im Gebrauch. Ich ſtand vorn am Schlitten. Die Gefährten riefen mir zu, direkt auf die Strickleiter zu halten und ſie ſofort zu erfaſſen. Wir durften ja die Geſchwindigkeit des Schlittens nicht mäßigen. Es handelte ſich noch um Sekunden. Da ſtößt der Schlitten an irgendein kleines Hindernis und wird von ſeinem Weg abgelenkt. Ich fürchte, daß ich die Strickleiter verfehle, und renne den Stock ſo ſtark in das Eis, daß er mir aus der Hand geriſſen wird. Wir ſauſen an der Leiter vorbei. Da pfeift es über uns, und der eine Bär wälzt ſich in ſeinem Blut. Durch die Wendung des Schlittens hatte All zum Schuß kommen können. Der andere aber iſt unmittelbar am Schlitten. Unglücklicherweiſe ſtechen die beiden zuletzt Stehenden mit ihren Picken nach ihm. Der Bär iſt verwundet, aber mit einem Tatzenſchlag hat er den armen Tam vom Schlitten geriſſen. Er erfaßt ihn an ſeinen Kleidern und trabt mit ihm davon. Inzwiſchen war All mit einer Anzahl bewaffneter Leute die Leiter herabgeſtiegen, und wir hatten den Schlitten zum Stehen gebracht. Der Bär aber lief mit ſeiner Beute ſo ſchnell, daß All ihm nicht folgen konnte; Sie wiſſen ja, daß wir ſchwer an uns zu tragen haben, wenn wir uns auf der Erde bewegen ſollen. Zu ſchießen wagte All nicht um Tams willen; wenn auch dieſer nicht ſelbſt getroffen wurde, ſo wäre er doch verloren geweſen, ſobald der Bär nicht ſofort auf der Stelle tot war. Unſre Beſtürzung war groß. Wir ſuchten den Bären durch Schreien einzuſchüchtern, aber er kümmerte ſich um nichts. Die Entfernung zwiſchen ihm und uns vergrößerte ſich ſchnell. ‚Wir können ihn nicht ſtellen‘, rief All, ‚doch folgen müſſen wir ihm. Ich gehe ſelbſt, zwei Leute genügen zur Begleitung. Die andern zurück aufs Schiff!‘ Jetzt ſahen wir, daß der Bär die Richtung auf unſern Arbeitsplatz am Pol einſchlug. Unſre Gefährten an der Winde hatten ebenfalls den Vorgang bemerkt. Sie ſtellten die Arbeit ein und beratſchlagten offenbar, ob ſie ſich dem Schlitten anvertrauen oder auf das Gerüſt flüchten ſollten, das über der Winde erbaut war. Da der Bär ſich ſchnell näherte, ſo wählten ſie das letztere. Auch ſie ſuchten den Bär durch Lärm zu verſcheuchen, aber vergebens. Als All erkannte, daß der Bär auf die Arbeiter an der Winde zulief, hieß er jeden ſeiner Begleiter noch ein Gewehr mitnehmen, um ſie womöglich ihnen zuzuſtellen. All hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als der Bär bereits bei der Winde ankam. Wir waren inzwiſchen, mit Ausnahme Alls und ſeiner Begleitung, in das Schiff zurückgekehrt und beobachteten von dort den Vorgang. Die Leute auf dem Gerüſt ärgerten offenbar den Bären. Er ließ Tam am Fuß des Gerüſtes liegen, ſetzte ſich auf die Hinterbeine und ſchlug ſeine Tatzen in die Winde ein, als wolle er ſie umreißen. Kaum hatte All bemerkt, daß Tam nicht mehr geſchleppt wurde, als er auf etwa fünfhundert Meter auf den Bären anlegte. Einen Augenblick zögerte er noch, um eine günſtigere Stellung abzuwarten. Da ſchien es, als wolle der Bär von der Winde ablaſſen und ſich wieder ſeiner Beute zuwenden. All drückte los. Eine Sekunde ſpäter ſahen wir den Bären zuſammenſtürzen. Mehr ſahen wir nicht. im Moment darauf erhielten wir einen Stoß, daß wir alle übereinander fielen. Als wir uns aufrafften, fanden wir das Raumſchiff um wenigſtens fünfzig Meter gehoben und vom Wind mit großer Geſchwindigkeit davongetrieben. Es war nicht anders denkbar, als daß Alls Kugel das dünne Tau zerſchnitten, der Druck des Windes es vollends zerriſſen hatte. Der erſte Steuermann übernahm das Kommando. Aber es war ſehr ſchwierig, etwas zu tun. Die Anker heraus und tiefer! Das Schiff ſtreifte in drohender Nähe des Eiſes hin. Wenn die Anker nicht bald faßten, ſo war keine Ausſicht, die Gefährten wiederzuſehen. Aber die Anker tanzten über die völlig glatte, hart gefrorene Fläche des Eiſes hin, ohne zu faſſen. Glücklicherweiſe leiſtete uns das lange Seil ausgezeichnete Dienſte, an welchem wir das Schiff nach dem Pol hinbugsiert hatten. Es diente uns jetzt als Schleppſeil, indem wir es in einer Länge von faſt tauſend Meter nachzogen. Von Minute zu Minute hofften wir über Spalten zu kommen, in denen es ſich vielleicht verfangen könne. Leider wurde der Wind immer ſtärker und ſteigerte ſich zum Sturm. Wir wußten aus der Karte, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis wir zu der Stelle gelangten, an der das Eisfeld in ſteilem Abfall nach dem Meer hin abſtürzt. Vorher freilich mußten große Bruchſpalten kommen, und darauf ſetzten wir unſre Hoffnung. Faſt eine Stunde mochten wir ſo dahingeraſt ſein, ſchon ſahen wir in der Ferne das Meer auftauchen — da kamen auch die Spalten. Würde das Tau ſich verfangen? Die Anker nutzten uns nichts mehr, denn die Oberfläche des Eiſes wurde jetzt ſo unregelmäßig, daß wir uns höher erheben mußten, um nicht gegen einen Vorſprung geſchleudert zu werden, und die Ankerſeile waren nur kurz. Da, endlich gibt es einen Ruck, daß wir taumeln — doch die Fahrt geht wieder weiter — aber jetzt, jetzt halten wir an, das Seil hat ſich geſpannt! Doch was iſt das? Ein furchtbarer Windſtoß von oben drückt unſer Schiff nach dem Boden zu; da wir dem Sturm nicht mehr folgen, drängt er uns hinab, das Schiff prallt gegen den Boden und erhebt ſich aufs neue — noch ein ſolcher Stoß, und wir ſind verloren. Wir müſſen ſteigen, wir machen uns ſchwerelos und heben uns in die Höhe. Aber war die Hebung zu ſtark oder hat die veränderte Richtung das Seil aus der Spalte gelöſt — kurzum, es gibt nach, wir ſchnellen in die Höhe, das Seil hängt frei herab, und wir folgen wieder dem Sturm — wir ſchweben über dem Abſturz des Gletſchers, vor uns das wütende, mit Eisſchollen erfüllte Meer. — Jetzt blieb nichts übrig, als nach oben zu entfliehen, in höhere Schichten der Atmoſphäre. Wir wußten aus der Karte, daß wir eine breite Meeresbucht zu überfliegen hatten, jenſeits deren ſich hohe feuerſpeiende Berge erheben. Schon ſahen wir von unſrer Höhe ihre Rauchwolken am Horizont. Wir fliegen immer direkt nach Norden auf einem Meridian, der in der Richtung nach der großen Inſel hinläuft, die Sie, wie ich aus Ihrer Karte geſehen habe, Neuſeeland nennen. An Landung konnten wir nicht mehr denken, wir mußten hinauf. Aber dazu mußten wir noch eine ſchwere Arbeit vollbringen, an die ich nicht gern denke. Das Netz um unſer Schiff mit dem langen Seil mußte fort. Denn was außerhalb unſrer Kugel iſt, können wir nicht diabariſch machen, es hätte unſre Bewegung im Raum gehindert. Ich war der Jüngſte, ich mußte in der untern Luke hängend das Seil kappen; dann wurden von oben die Verbindungen des Netzes gelöſt, und ich hatte die Aufgabe, die Seile nach unten zu ziehen. Dabei herrſchte hier oben eine Kälte, daß das Queckſilber gefror. Glücklicherweiſe behalten die Lisſeile ihre Geſchmeidigkeit, ſonſt wäre die Arbeit unmöglich geweſen. Ich wundere mich noch heute, daß ich nicht abgeſtürzt bin, denn ich mußte in der Erdſchwere arbeiten. Endlich war auch das geſchehen. Die Luken wurden geſchloſſen, und wir ließen die Erde hinter uns.“ 14. Zwiſchen Erde und Mars